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Er: Liebling! Was ist denn los? Du hast ja aufgedeckt wie zu einer Hochzeit.
Ich hab' doch hoffentlich keinen Geburtstag vergessen.
Sie: Heute vor einem Jahr haben wir uns kennengelernt. Das ist doch wahrlich
Grund genug zum Feiern.
Er: Heute vor einem Jahr! Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Ich
hätt' es glatt vergessen.
Sie: Denk' dir nichts. Ich hab' es auch nur rein zufällig im Kalender
gelesen. Da hab' ich gleich mit dem schönsten Geschirr den Tisch gedeckt und
eine Flasche Sekt kaltgestellt. Der Reisauflauf müßte auch schon fertig sein.
Er: Auf diesen Tag müssen wir trinken!
Sie: Wart' noch einen Augenblick. Ich möchte zuerst deine Leibspeise aus dem
Backrohr holen.
Beide: Prost! Prost und Gesundheit! Und alles Liebe und Gute! Auf noch viele
gemeinsame Jahre!
Er: Komm, laß dich ganz fest umarmen. Es geht nichts über einen gemeinsamen
Abend mit dir. Die Pastorale hast du auch aufgelegt. Alles wie vor einem Jahr.
Sie: Heute, genau vor einem Jahr war die Berufungsverhandlung. Die Sekretärin
deines Rechtsanwalts hatte mir den Termin verraten. Vielleicht hat sie
geahnt, was ich vorhatte. Ich bin ihr jedenfalls sehr dankbar. Aber komm,
setzen wir uns.
Er: Da hab' ich dich zum ersten Mal gesehen. Ganz kurz bin ich dir gegenüber
gestanden. Es war auf dem Gang, vor der Türe zum Gerichtssaal. 'Bitte, rufen
Sie mich an, sobald es Ihnen möglich ist', hast du gesagt. 'Hier ist meine
Karte.' Das war alles. Dann warst du schon wieder verschwunden. Ich hab' mir
gedacht: Wieder eine Reporterin für irgendeine Zeitung. Du hast mich
jedenfalls sehr neugierig gemacht.
Sie: Das muß er sein, hab' ich mir gedacht. Ich hatte dich nur von einigen
Bildern aus der Zeitung erkannt. Du warst umringt von Leuten. Es war mir
egal. Ich mußte dich ansprechen. Jetzt oder nie, war meine Devise.
Er: Es hat geklappt. Eigentlich wollte ich dich gleich nach der Verhandlung
anrufen. Es ging aber nicht. Meine Fans hatten mich in ein Gasthaus
geschleppt. Ich konnte sie unmöglich enttäuschen.
Sie: Und ich hab' daheim gleich den Anrufbeantworter ablaufen lassen. Es war
nichts gespeichert. Nichts! Ich war enttäuscht. Dann hab' ich gewartet, wie
auf glühenden Kohlen. Vielleicht war ich ganz entschieden zu forsch, oder ich
hab' einen schlechten Eindruck gemacht. Du glaubst gar nicht, was mir alles
durch den Kopf gegangen ist.
Er: Ich hatte mich gemeldet, sobald ich konnte. Deine Stimme klang so
sachlich und kühl, daß ich nur an ein Arbeitsessen denken konnte. Eine
Journalistin, die mich für ihre Zeitung ausquetschen will. Deshalb habe ich
auch sofort zugesagt.
Sie: Du warst sehr pünktlich. Für mich war das ein gutes Omen. Beim ersten
Anblick hatte es bei mir schon gefunkt. Das ausführliche Gespräch über die
verschiedenen Verhandlungen beim Gericht war dann nur noch Nebensache. Genau
genommen: Das ganze Arbeitsessen war nichts anderes als ein herrliches
Vorspiel. Von aller Anfang an war mir klar: Das ist der Mann, der mir
gefällt.
Er: Davon hatte ich natürlich nicht die leiseste Ahnung. Das hat sich aber
schlagartig geändert, als du nach dem Essen sagtest: 'Es ist noch früh am
Abend. Ich würde Sie gerne zu einer Tasse Kaffee oder Tee einladen. Ich wohne
hier gleich um die Ecke.'
Sie: Du hast spontan zugesagt. Ich war überglücklich. Da hätte ich dich
gleich auf der Stelle umarmen können. Ich war mir ganz sicher, daß auch du
schon damals eine Menge für mich übrig hattest.
Er: Das Gespräch ist dann immer persönlicher geworden. War ich eigentlich
sehr neugierig? Oder hast du mir aus freien Stücken erzählt, daß du
geschieden bist? Da habe ich angefangen, mir Hoffnung zu machen.
Sie: Das hab' ich dir angesehen. Ich meine fast, du hast aufgeatmet, als
wolltest du sagen: 'Dann komme ich ja gerade recht.' Das hat mich neugirig
gemacht. Auch ich mußte wissen, wie es mit dir steht. Ob du frei bist, oder
ob jemand auf dich wartet. Deine Antwort konnte nicht besser ausfallen. 'Wir
sitzen also beide im selben Boot', hast du gesagt. Darauf müssen wir trinken.
Er: Von diesem Augenblick an wußte ich, daß wir auf dem besten Weg waren, uns
zu verlieben.
Sie: Ich konnte es kaum erwarten, bis du endlich bereit warst, das förmliche
und distanzierte Sie aufzugeben. Dann dein erster Kuß! Ich denke immer wieder
gerne daran. Du warst so herrlich unerfahren. Ganz anders als mein
Verflossener.
Er: Was war er für ein Mensch?
Sie: Ein Typ wie Dr. Specht im Fernsehen. Ich hätte mich auch nie von ihm
scheiden lassen. Wir hätten ein gutes und glückliches gemeinsames Leben haben
können, wenn er nur nicht ständig andere Frauen gehabt hätte. Das war mir
einfach zu viel. Ich hab' nur noch rot gesehen.
Er: An jenem ersten Abend hast du mir deine ganze Vergangenheit erzählt.
Dabei war es spät geworden. Höchste Zeit, daß ich mich verabschieden würde.
Dann hast du gesagt, was ich nie vergessen werde: 'Ach, bleib doch. Du kannst
doch auch bei mir schlafen.'
Sie: Du warst mir nicht böse. Ich habe es dir angesehen. Nein, du warst nur
etwas verlegen und ziemlich hilflos. 'Gut!' Hast du gesagt. 'Ich bleibe.' Das
war einer meiner glücklichtsen Augenblicke. Ich habe dich dafür auf der
Stelle ganz innig geküßt. Weißt du 's noch: Es war ein echter Kuß!
Er: Ein Dauerbrenner! Ich wußte damals noch gar nicht, daß Küsse so intensiv
sein können. Mir ist buchstäblich die Luft weggeblieben. So wurde es langsam
Zeit ins Bett zu gehen. Und ich ohne Schlafanzug. Für mich war das ein echtes
Problem. 'Vergiß ihn', hast du mir geantwortet. Als wäre es das
Selbstverständlichste in der Welt.
Sie: Ich habe es richtig genossen, daß du mir dann beim Ausziehen so
aufmerksam zugeschaut hast. Ich habe mir auch richtig Zeit gelassen. Es war
mein ganz privater Striptease für dich. Du kannst dir kaum vorstellen, wie
gerne ich mich für dich ausgezogen habe.
Er: Ich war gebannt von deiner Natürlichkeit, von der Selbstverständlichkeit,
mit der du aus deinem Rock geschlüpft bist. Wie sorgfältig du diesen über die
Sessellehne gelegt hast. Ich war in einer anderen Welt. Ich wundere mich
heute noch, daß es so schön sein kann, wenn sich ein BH öffnet und die vollen
Brüste zum Vorschein kommen. Wie graziös du dann aus dem Höschen gestiegen
bist. Dieser Anblick hat mich verzaubert. Damals ist mir aufgegangen: Die
Zärtlichkeit ist das Talent, das aus dem Herzen kommt. Das war die Erfahrung
der ersten gemeinsamen Nacht.
Sie: Mein Mann hat sehr oft das Wort Liebe gebraucht. Du redest von
Zärtlichkeit. Warum nur von Zärtlichkeit?
Er: Liebe ist ein seltsames Wort. Es kann so viel Verschiedenes bedeuten.
Einmal Gott im Himmel, dann die feurige Leidenschaft. Ebenso eiserne
Pflichterfüllung und die schüchterne Zuneigung, die wir verstohlen im Herzen
tragen. Man weiß nie, was gemeint ist. Deshalb rede ich viel lieber von
Zärtlichkeit und nicht von Liebe.
Sie: Für mich war Liebe das heiligste Wort überhaupt. Es heißt: 'Wenn ich in
den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre
ich ein dröhnendes Erz oder eine lärmende Schelle. Und wenn ich prophetisch
reden könnte und alle Geheimnisse wüßte und alle Erkenntnis hätte, wenn ich
alle Glaubenskraft besäße und Berge versetzen könnte, hätte aber die Liebe
nicht, wäre ich nichts.'
Er: Halt an. Jetzt kommt nämlich der entscheidende Satz. Der absolute
Höhepunktt dieses Hohen Liedes. Trag ihn vor, als wäre es eine göttliche
Offenbarung. Vielleicht merkst du dann, warum er mir immer aufstößt.
Sie: Ich sag' es ganz feierlich, wie bei einer Trauung in der Kirche. Also
hör' zu: 'Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib
dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.'
Er: Was soll dieser Vergleich? Sich selber freiwillig ohne Liebe hingeben!
Als ob das möglich wäre! Es weiß doch ein jeder, daß das ohne Liebe nicht
geht. Nur aus reinster und selbstloser Liebe kann man seine ganze Habe
wirklich verschenken. Ein Liebender fragt nicht, was es ihm nützt. Wenn es
die Liebe erfordert, kann ein Mensch für einen andern sogar durchs Feuer
gehen und wenn es sein muß, sogar im Feuer umkommen. Er nimmt das alles auf
sich, weil er liebt. Ohne Liebe könnte er es nicht. - Dieser Vers ist eine
typisch paulinische Gedankenakrobatik. Ich kann ihn nicht mehr hören.
Sie: Wir haben das Hohe Lied in der Schule auswendig gelernt. Unsere Lehrerin
war von diesem Text so begeistert, daß sie uns damit buchstäblich angesteckt
hat. Es wäre uns deshalb niemals in den Sinn gekommen, diesen Text in Frage
zu stellen. Er galt als das absolut Höchste und Vollkommenste in der gesamten
Literatur.
Er: Es hört sich auch himmlisch an, wenn es heißt: Die Liebe ist langmütig,
die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht
sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, läßt
sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.
Sie: Die absolute Spitze kommt erst. Im nächsten Vers heißt es nämlich: 'Die
Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe
hört niemals auf.' Du kannst dir kaum vorstellen, wie diese Worte damals auf
uns gewirkt haben. Als junge Backfische haben sie uns zum Schwärmen gebracht.
Er: Bedenke doch: Nicht einmal Gott im Himmel ist zu einer solchen Liebe
fähig. Wenn er es wäre, müßte er allen verzeihen. Auch den schwersten
Verbrechern. Nicht einmal im Traum dürfte er an eine ewige Verdammnis denken.
Niemand dürfte von ihm hinausgeworfen werden in die äußerste Finsternis,
dorthin, wo es nur noch Heulen und Zähneknirschen gibt. Vollkommene Liebe und
ewige Höllenstrafe passen einfach nicht zusammen. Deswegen habe ich das Hohe
Lied der Liebe bei meinen Trauungen auch nicht mehr verwendet.
Sie: Es gibt ja zum Glück genügend andere Texte.
Er: Die Menschen bauen auch viel zuviel auf den kirchlichen Segen. Es sind
doch alles nur fromme Sprüche. Von aller Anfang an haben Braut und Bräutigam
ohne den Segen der Kirche gelebt, und niemand hat ihn vermißt.
Sie: Aber dann muß etwas geschehen sein, was die kirchliche Trauung einfach
notwenig gemacht hat.
Er: So möchte man meinen. Aber nichts ist geschehen. Die kirchliche Trauung
ist und bleibt ein reines Zufallsprodukt. Im fünften Jahrhundert ist es
jemanden eingefallen, auch den Ortspfarrer zur Trauung einzuladen. Vielleicht
war er ein Verwandter der Braut oder des Bräutigams. Auf alle Fälle hat jener
Geistliche die Einladung angenommen.
Sie: Und was dann? Irgend etwas ganz Besonderes muß er doch gemacht haben.
Er: Eigentlich nichts Besonderes. Der Pfarrer hat auch damals nur das getan,
was er immer und überall tut. Er hat seine frommen Sprüche losgelassen. Das
war sein Hoch-zeitsgeschenk. Und die Leute waren begeistert.
Sie: Das verstehe ich nicht.
Er: Statt Sprüche machen, kann man auch sagen: Er hat seinen Segen
gesprochen. Vielleicht benützte er sogar die Worte der Heiligen Schrift. Zum
Beispiel: 'Im Namen des Herrn segne ich euch. Seid fruchtbar, vermehrt euch
und bevölkert die Erde. In seinem Namen will ich segnen, die euch segnen, und
wer euch jemals verfluchen sollte, den verfluche auch ich. So segne euch der
Herr mit der unendlichen Fülle seines Segens. Sein Segen lege sich auf
alles, was euch gehört, auf Haus und Hof, auf das Vieh im Stall, auf
Wiesen und Felder.' Vielleicht hat er auch nur gesagt: ' Der Herr segne euch
und behüte euch. Der Herr lasse sein Angesicht über euch leuchten und sei
euch gnädig. Der Herr wende sein Angesicht euch zu und schenke euch Heil.'
Du siehst: Derartige Sprüche gibt es in Hülle und Fülle.
Sie: Solche Segenswünsche hört ein jeder gern, wenn sie feierlich und mit dem
Brustton der Überzeugung vorgetragen werden.
Er: Jener Geistliche hat seine Sache sehr gut gemacht. Die Leute waren
nämlich so begeistert von seinen Sprüchen, daß er auch zu anderen Hochzeiten
eingeladen wurde. Überall hat er seinen Segen gesprochen, und auf diese Weise
zur größeren Feierlichkeit beigetragen.
Sie: Das leuchtet mir ein. Eine Hochzeit ohne den Segen des Pfarrers war
praktisch unmöglich geworden. Aus einer rein zufälligen Einladung wurde eine
feste Regel.
Er: Dieser kirchliche Segen wurde dann sogar zum ungeschriebenen Gesetz. Wer
heiraten wollte, hatte sich von nun an beim Pfarrer zu melden. Dieser hatte
in allem ein gewichtiges Wort mitzureden. Ohne den Pfarrer ging nichts mehr.
Sie: Wie schnell sich Menschen doch immer wieder vereinnehmen lassen. Da
braucht einer nur zu sagen: So oder so muß es sein, und einfach behaupten:
Das war schon immer so. Dann fallen die Leute darauf herein.
Er: Nicht alle. Es gab sogar erbitterten Widerstand. Viele ließen sich diese
Gängelei durch den Pfarrer nicht länger gefallen. Immer mehr verzichteten
sogar auf den Segen der Kirche. Sie sagten sich: Was der Pfarrer kann, das
können wir auch. Vielerorts wurden die Ehen dann wieder ohne einen Pfarrer
geschlossen.
Sie: Einfach so, ohne den Segen der Kirche! Später muß dann die kirchliche
Trauung aber doch wieder in Mode gekommen sein. Denn noch vor wenigen Jahren
wäre eine reine standesamtliche Eheschließung, ohne den Segen der Kirche,
noch undenkbar gewesen.
Er: Ich sag' dir auch warum. Überall im ganzen Land haben die Pfarrer von den
Kanzeln gepredigt: Nur eine kirchliche Trauung ist gültig. Dabei haben sie
sich auf Jesus berufen, der gesagt haben soll: Was du auf Erden binden wirst,
das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das
wird auch im Himmel gelöst sein.
Sie: Auch ich habe das fest geglaubt. Es wäre mir nicht im Traum eingefallen,
daß diese Worte dem Jesus nachträglich in den Mund gelegt worden sein
könnten.
Er: Die Leute sind jedenfalls darauf hereingefallen. Es gab damals auch noch
keine Bibelwissenschaft mit eingehender Textanalyse.
Sie: Alle waren auf die Worte eines Pfarrers angewiesen. Was er sagte, das
allein zählte. Somit stand fest: Wer sich nicht kirchlich trauen läßt, lebt
im Stand der Todsünde. Wenn er stirbt, kommt er in die Hölle.
Er: Ja, das war einmal. Die Kirche zählt nicht mehr. Was früher von der
Kirche kam, kommt jetzt von der Informatik. Sie ist die Quelle aller
Offenbarung.
Sie: Bedauerst du jetzt etwa das Ende der göttlichen Offenbarung?
Er: Keineswegs. Der rein menschliche Ursprung jeder Offenbarung hat die drei
bibli-schen Religionen schon ziemlich entmachtet und der Welt etwas mehr
Hoffnung auf Frieden gebracht.
Sie: Was hätte denn geschehen müssen, daß man mit Recht von einer Offenbarung
Gottes sprechen könnte?
Er: Gott hätte zu den Menschen sagen müssen: 'Fragt mich doch über alles, was
ihr wissen wollt. Ich will es euch sagen. Keiner soll vergeblich suchen und
forschen müssen.' So stelle ich mir die göttliche Offenbarung vor. Das wäre
nicht zuviel verlangt. Für einen Vater im Himmel müßte es doch
selbstverständlich sein, daß er seine Kinder auf Erden in alles einweiht, was
sie interessiert. Er aber schweigt, er lebt völlig zurückgezogen in seiner
eigenen Welt und überläßt seine Kinder allen nur möglichen Irrtümern. Deshalb
kann ich nur sagen: Die sogenannte göttliche Offenbarung ist der größte
Reinfall, den ich mir nur denken kann.
Sie: Was würdest du von Gott gerne wissen wollen, wenn du ihn fragen könntest?
Er: Alles! Ja, buchstäblich alles. Ich weiß gar nicht, womit ich zuerst
anfangen würde. Vielleicht würde ich ihn fragen: 'Vater, sag' mir bitte:
Gibt es wirklich ein ewiges Leben nach dem Tod? Ich möchte es wissen.' Dann:
'Wie ist das Weltall entstanden? Wie unsere Erde? Warum hast du uns gesagt,
du hättest sie in sechs Tagen erschaffen? Was hat dich bewogen, uns zu
erzählen, daß du Sonne, Mond und Sterne für uns Menschen am Himmelsgewölbe
festgemacht hättest?' Und das kann ich dir versichern: Wenn ich allwissend
wäre, dann würde ich mein Wissen nicht für mich behalten. Ich würde es meinen
Kindern weitergeben. Allen, ausnahmslos. Ich könnte es nicht ertra-gen, daß
auch nur ein einziges meiner Kinder in Unwissenheit und Irrtum leben würde.
Es würde dem Vater im Himmel doch keine Perle aus der Krone fallen, wenn er
uns sagen würde, wo und wie die verschiedenen Erreger von Seuchen gefunden
werden könnten. Denk' doch nur an die Pest, an Aids, an Krebs! Er aber
schweigt. Es läßt ihn vollkommen kalt, wenn seine Kinder daran langsam aber
sicher krepieren.
Sie: Jeder Vater auf Erden würde sich freuen, wenn er seinen Kindern all das
erklären dürfte. Er wäre dankbar für jede noch so dumme Frage seiner Kinder.
Er: Ich kann dieses Gerede vom Vater im Himmel nicht mehr hören. Vatersein
ver-pflichtet. Das gilt für jeden Vater. Selbstverständlich und ganz
besonders auch für den Vater im Himmel. So müßte er um unser aller
Wohlergehen wirklich besorgt sein. Er ist es aber nicht. Das ist die traurige
Tatsache, ein Skandal, den wir ihm nicht länger durchgehen lassen dürfen.
Sie: Du möchtest also, daß dich Gott in seine Arme nimmt und dich streichelt
und hätschelt wie ein kleines Kind.
Er: Ich möchte nur, daß er für mich da ist, weil ich sein Sohn bin. Das ist
doch nicht zuviel verlangt. Ich sag' dir: Ich wäre glücklich und zufrieden,
wenn ich einen Sohn oder eine Tochter hätte. Selbstverständlich würde ich sie
in die Arme nehmen. Das wäre überhaupt keine Frage. Ich würde mich freuen,
wenn ich für sie dasein dürfte. Ich würde ihnen nichts aufzwingen. Aber ihre
Bitten würde ich ihnen erfüllen. Und wenn sie nach und nach älter würden,
würde ich mit ihnen ganz vernünftig reden. Aber wirklich über alles! Auf
keinen Fall würde ich mich vor meinen Kindern verstecken und verleugnen, wie
der Vater im Himmel es tut.
Sie: Angenommen, Gott würde auf deine erste Frage: 'Gibt es ein Leben nach
dem Tod', wirklich eingehen und sagen: 'Mein liebes Kind, ein Leben nach dem
Tod gibt es nicht.' Wärest du dann nicht unendlich traurig?
Er: Ganz gewiß nicht. Ich würde nämlich gleich weiterfragen: 'Warum gibt es
kein Leben nach dem Tod?' Und Gott würde mir erklären, warum das nicht sein
kann. Vielleicht würde er mir sagen: 'Du hast die ganze Zeit vor deiner
Geburt nichts erlebt, und es ist dir deshalb nichts abgegangen. Nach dem Tod
wird dir auch die Zukunft nicht abgehen.' Und wenn ich wissen wollte, warum
mir das Kommende nicht abgeht, würde mir Gott vielleicht sagen: 'Bedenk' doch
mein Sohn, deine Lebenskraft ist aufgebraucht. Du hast keinen Funken Energie
mehr übrig, kein bißchen Willenskraft, nicht einmal den geringsten Wunsch
kannst du noch äußern. Du bist am Ende. Es ist alles vorbei.' Diese Worte
könnte ich ertragen. Was mich ärgert, ist sein endloses Schweigen und diese
teilnahmslose Grabesruhe, die von ihm ausgeht. Das macht mich wütend.
Sie: Alles, was lebt, kommuniziert miteinander. Oder ist das schon zuviel
gesagt? Nur
Nur Gott kommuniziert nicht mit den Menschen. Denn wenn er es täte, bräuchte
es weder Heilige Schriften noch Theologen. Das alles ist doch nur ein
trauriger Ersatz für die fehlende Kommunikation mit Gott.
Er: Es stimmt. Kommunikation ist Leben. Wir verwenden ungeheuere Energien auf
Kommunikation. Alles spricht heute sogar von Telekommunikation. Kommunikation
nicht nur rund um den Globus, auch im Weltall. Ziel ist die totale
Kommunikation mit allem und jeden.
Sie: Ja, mit Lebenden und Verstorbenen, mit Engel und Heiligen, mit Tod und
Teufel. Mit allen möchten wir kommunizieren. Sogar mit Gott.
Er: Ohne Kommunikation gäbe keine geordneten Vogelschwärme. Diese riesigen
Schwärme bewegen sich so gleichmäßig und synchron, als wären die unzähligen
Vögel ein einziger Flugkörper. Das ist perfekte Kommunikation. Im Meer ist es
nicht anders. Auch die endlosen Herden in der Serengeti verhalten sich
ebenso. Wo man auch hinschaut, überall funktioniert diese Kommunikation.
Sogar unter den Insekten.
Sie: Die Ameisen und die Bienen sind besser organisiert als unsere
Wirtschaft. Alles geht bei ihnen wie geschmiert. Ohne jede Aufregung, ohne
Ärger und Verdruß. Sogar ohne Streitigkeiten. Es wird niemand beleidigt. Es
wird auch nicht herumgeschrien wie bei uns Menschen. Scheinbar verstehen sich
die Insekten besser als die Menschen.
Er: Die Tierwelt ist uns hier tatsächlich haushoch überlegen. Sie zeigt uns
wie echte Kommunikation funktioniert. Sogar von unseren Haustieren können wir
lernen.
Sie: Was diese Tiere betrifft, geht die ganze Kommunikation mit uns Menschen
nur über das Futter. Darüber hinaus gibt es keine echte Verständigung, auch
wenn Frauchen oder Herrchen anderer Meinung sind. Das Wedeln mit dem Schwanz,
ein treuherziger Blick und ein verschmustes Verhalten kann alles Mögliche
bedeuten. Die meisten interpretieren das irrtümlicher Weise als eine klare
Antwort, während unsere geliebten Vierbeiner nur auf Futter warten.
Er: Im Deuten und Interpretieren sind wir groß. Jedes Mißgeschick wird gleich
zum Fingerzeig Gottes, der uns warnen will. Und wenn etwas gut hinausgegangen
ist, wird es sofort als ein Geschenk Gottes betrachtet.
Sie: Die meisten bilden sich noch immer ein, mit Gott in Verbindung zu
stehen. Mit ihm zu kommunizieren. Das ist ein schwerer Irrtum. Sie halten
deshalb alles für eine Fügung Gottes und merken nicht, daß es nur ihr eigene
Interpretation ist.
Er: Deshalb kann nicht laut genug gesagt werden: Jede angebliche
Kommunikation mit Gott erwächst aus der Interpretation, aus dem, wie wir
etwas deuten. Wir kommunizieren mit unseren Haustieren schon schlecht genug.
Mit Gott aber überhaupt nicht.
Sie: Was bleibt einem da übrig?
Er: Man muß die Kommunikation mit Gott als eine absolute Fehlanzeige
abschreiben. Jedes Wort darüber ist bereits eine reine Verschwendung. Gott
wird nur zur Befriedigung unseres unstillbaren Verlangens nach vollkommener
Kommunikation benützt.
Sie: Das ist verständlich. Wir leben schließlich im Zeitalter der absoluten
Kommunikation. Wir suchen die Kommunikation mit allem, was lebt, sogar über
Raum und Zeit hinaus. Kein Wunder, daß viele sogar mit den Verstorbenen, mit
guten und bösen Geistern, ja sogar mit Gott kommunizieren wollen.
Er: Wir sollten auf dem Boden der Realität bleiben. Leider heben wir ab und
machen uns etwas vor, weil wir nicht einsehen wollen, daß die Kommunikation
mit Gott nicht funktioniert. Echte Kommunikation ist alles andere als eine
Einbahnstraße. Sie ist ein ständiges Hin und Her, ein wirklicher Austausch
vom einen zum andern. Kein Traum, sondern eine lebendige Begegnung. Dazu
kommt: Direkte Kommunikation kommt ohne jede Vermittlung über Dritte aus.
Selbstverständlich ist auch jeder Um-weg über eine Heilige Schrift
überflüssig. Das alles führt nur zu gefährlichen Mißverständissen, ja sogar
zu blutigen Konfrontationen. Die Geschichte ist voll davon.
Sie: Es wäre wahrhaftig nicht zuviel verlangt, wenn sich Gott zur rechten
Zeit immer wieder eine kleine Überraschung für seine Kinder einfallen ließe.
Gelegenheiten gäbe es genügend. So wie es aussieht, legt Gott keinen Wert
darauf.
Er: Da lob ich mir die Juden. Sie haben dasJubeljahr erfunden. Eigentlich
hätte ein solcher Einfall vom Vater im Himmel kommen müssen.
Sie: Haben dann alle Juden auf Kommando gejubelt?
Er: Natürlich nicht. Nur diejenigen, die lange nichts mehr zu lachen hatten.
Stell dir vor: Die Sklaven hatten ihre Freiheit erlangt. Wenn das kein Grund
zur Freude ist! Sogar Häuser und Äcker wurden wieder zurückgegeben, wenn
diese zu Unrecht erworben wurden. Ein echtes Jubeljahr!
Sie: Dafür hätte ich auch in die Hörner geblasen und verkündet: Es ist wieder
so weit. Wir dürfen aufatmen. Wir sind frei. Frei von jeder Unterdückung.
Auch durch die Kirche!
Er: Schön wärs. Die Kirche ruft alle 25, alle 50 und alle 100 Jahre ein
solches Jubeljahr aus. Diese Zeitabstände hat sie tatsächlich von den Juden
übernommen. Befreit wurden die Gläubigen aber nur von ihren Ersparnissen. Sie
mußten zahlen, damit ihre Verstorbenen vom Joch der Sünde und von der ewigen
Höllenstrafe erlöst wurden. Sie zahlen auch heute noch. Keiner soll sagen
können, daß man für die Verstorbenen nichts übrig hat.
Sie: Für Tote nichts übrig haben! So ein Schmarrn. Ich kann doch mit besten
Willen einem Verstorbenen nichts mehr geben. Überhaupt nichts. Leider! Sogar
meine Dankbarkeit und die liebevolle Erinnerung muß ich für mich behalten.
Ich kann sie ihm nicht einmal ins Grab legen. Der Verstorbene weiß nicht, wie
traurig ich bin. Er fühlt auch nicht, wie sehr ich ihn vermisse. Er ist tot.
Maustot! Alles andere ist Einbildung und Selbsttäuschung.
Er: Da fällt mir ein uraltes Zitat ein: 'Der Mensch lebt wie die Blume des
Feldes. Kommt der Frost, so ist sie dahin.' Darum sag' ich mir immer wieder:
Sei dankbar für jeden Tag, den du erleben darfst, denn mit dem Tod ist alles
vorbei.
Sie: Ein Jubeljahr könnte nur von Gott durchgeführt werden. Menschen
schaffen nur immer wieder neues Unrecht und neuen Unfrieden.
Er: Aber der Vater im Himmel schweigt. Er bleibt absolut untätig, wo er doch
handeln müßte. So bleiben nur die frommen Sprüche.
Sie: Früher haben mich diese Sprüche aus dem Häuschen gebracht. Dann hat
mich ein seltsamer Traum erlöst.
Er: Was hast du denn geträumt?
Sie: Ich war auf dem Domberg zu Freising. Der ganze Domplatz war vollgeparkt
mit alten Autos. Sie mußten schon ewig lang dort gestanden sein, weil alle
Fahrzeuge unter einer dicken Staubschicht verborgen waren. Dann habe ich mir
diese Fahrzeuge näher angeschaut. Sie waren nicht verschlossen. Was meinst
du, daß ich dann gesehen habe? Ich traute meinen Augen kaum. In jedem Auto
saß ein Domherr, regungslos, tot; Den Kopf auf dem Lenkrad. Anscheinend
wollten sie vor langer Zeit einmal wegfahren.
Er: Unglaublich, was man nicht alles träumt. Da ist man plötzlich in einer
anderen Welt. Und trotzdem hat alles mit uns selbst zu tun.
Sie: Ich mußte gleich an die Kirche denken. Die Prälaten wollten herunter
vom Domberg. Sie wollten allen Ernstes die alte Kirche verlassen. Sie sitzen
alle reisefertig im Auto und kommen trotzdem nicht weiter. Sie kommen auch
nicht mehr heraus aus ihren Fahrzeugen, sondern sterben jeder vor seinem
Lenkrad.
Er: Und warum sind sie nicht weitergekommen?
Sie: Wahrscheinlich haben sie auf Jesus gewartet, damit er ihnen vorausfährt
und ihnen den Weg zeigt. Vielleicht haben sie auch auf den Beistand des
Heiligen Geistes gehofft. Auf ein Wunder, wie zu Pfingsten. Jesus ist aber
nicht gekommen. Er ist ihnen nicht erschienen. Ihre inständigen Gebete waren
für die Katz. Und der Heilige Geist hat sie auch im Stich gelassen. Er hätte
ihnen doch mit Feuer und einem mächtigen Brausen den Weg zeigen können. Aber
nein, die Verantwortlichen der Kirche waren ganz allein auf sich gestellt.
Das war zu viel für sie. Sie fühlten sich total überfordert. So sind sie
eben während der Zeit des endlosen Wartens, einer nach dem andern schön
langsam gestorben und die Kirche mit ihnen.
Er: So friedlich sind meine Träume meistens nicht. Erst neulich habe ich von
einem langen Güterzug geträumt. Es war während des Krieges. Ich bin im
Tiefflug darüber hinweggeflogen und habe alle Waggons mit meiner Bordkanone
in Brand geschossen. Es gab nur Feuer, Qualm und Rauch so weit das Auge
reichte.
Sie: Das ist ein Bild für ungeheuere Aggressionen. Hat dich denn die Kirche
so sehr aus dem Häuschen gebracht?
Er: Beim Erwachen habe ich sofort an den Vater im Himmel denken müssen.
Sie: Es ist doch nichts friedlicher, als das Bild eines erbarmenden Vaters
im Himmel. Ich sehe nicht, was dich daran so erregen könnte.
Er: Seine kalte Teilnahmslosigkeit und sein eisiges Schweigen ist mir von Tag
zu Tag unerträglicher geworden. Ich fühlte mich vor diesem Gott wie der
letzte Dreck, beleidigt und verachtet. Das hatte mich total aus der Fassung
gebracht. Ich konnte nicht anders, wirklich, ich mußte einen so unmöglichen
Vater im Himmel ganz einfach den Garaus machen. Mit der Bordkanone habe ich
ihn in Qualm und Rauch verwandelt.
Sie: Das verstehe ich nicht. Er hat dir doch nichts getan.
Er: Nichts getan, sagst du! Wenn er mir wenigstens Widerstand geleitet hätte!
Aber nein, für ihn existiere ich nicht einmal. Siehst du denn nicht: Er
kümmert sich nicht um seine Kinder auf Erden. Er hat keinen Funken
väterlicher Zuneigung für uns übrig. Dieser Vater im Himmel straft uns alle
mit Verachtung!
Sie: Bitte, reg dich nicht auf. Ich konnte ja nicht ahnen, daß dir das so
nahe geht.
Er: Ist schon gut. - Aber sag' mir bitte: Würdest du auch nur eines deiner
Kinder nach dem Erreger einer einzigen Krankheit vergeblich suchen lassen,
wenn du ganz genau weißt, wo er zu finden ist? Gewiß nicht! Du könnest nicht
zusehen, wie deine Kinder vor die Hunde gehen. - Ich weiß, du würdest ihnen
helfen. Selbstverständlich wärest du zur Stelle, und das, ohne mit der Wimper
zu zucken. Ganz anders dieser Vater im Himmel. Er schaut zu, wenn sich seine
Kinder auf Erden seinetwegen sogar die Köpfe einschlagen. Ich sag' dir: Da
hört sich bei mir alles auf. Ich kann mich über einen so unmöglichen Vater im
Himmel nur noch aufregen und empören.
Sie: Im Traum hast du diese Vorstellung von einem Vater im Himmel gründlich
zerstört. Und mit ihr die C-Partei. Nichts ist davon übrig geblieben. Du hast
dich befreit. Das ist nicht alltäglich. Ich würde sagen: Ein echter
Glücksfall.
Er: Nicht nur für mich. Für alle, die sich die Mühe machen, etwas
nachzudenken. Die moderne Informatik und Kommunikation machen der alten
Religion mit ihren C-Parteien den Garaus. Das geschieht am Computer, und zwar
völlig unauffällig und gewaltlos. Nur mit einem Mausklick. Ich kann nur
sagen: Die Zeit der C-Parteien ist vorbei, weil das große C auf Sand gebaut
ist.
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