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Pfarrangehörige unter sich: Das hätte der Pfarrer nicht sagen sollen. Er wird es zurücknehmen müssen. -- Das nimmt er nicht zurück. Er will es darauf ankommen lassen. -- Mir ist es wurst, was er tut. - Ich möchte nur nicht von
den Zeitungsleuten ständig gefragt werden, ob ich auch der Meinung bin, daß die Evangelisten das Blaue vom Himmel herunterlügen. Noch dazu, wenn es am nächsten Tag gleich lang und breit in der Zeitung steht. - Ein Beschluß der Pfarrversammlung ist in diesem Fall das Beste. - Das sag' ich auch. Da wird
keiner persönlich mit Namen genannt, und keiner braucht sich schief anschauen lassen.
Der Vorsitzende: Ich bitte alle Anwesenden um Ruhe. Hiermit eröffne ich die Pfarrversammlung. Der erste Punkt der Tagesordnung heißt: Begrüßung der Anwesenden. Also: Ich freue mich, daß Sie der Einladung so zahlreich gefolgt
sind und heiße Sie herzlich willkommen. Wie Sie bereits bemerkt haben, sind auch Reporter von der Presse unter uns. Bitte denken Sie daran, wenn Sie sich zu Wort melden, oder einen Zwischenruf machen. Was einer sagt, kann morgen schon in der Zeitung stehen.
Anwesende unter sich: Da hat doch erst neulich einer dazwischen geschrien: 'Der gehört ungespitzt in den Boden geschlagen, damit ihn jeder Hund anbieselt.' Nicht auszudenken, wenn das in die Zeitung gekommen wäre. Aus wär
's gewesen mit unserem guten Ruf. Die Leute hätten mit dem Finger auf uns gezeigt. Ein Lindner, hätten sie gesagt. -- Um was ist es denn gegangen?
Der Vorsitzende: Ich bitte um Ruhe. Der Kirchenpfleger Michael Mayerhofer und fünf weitere Mitglieder des Pfarrgemeinderates haben einen Antrag
eingereicht. Die in der Satzung vorgeschriebene Zahl von Antragstellern ist vorhanden. Es wurde satzungsgemäß eingeladen. Nun zur Sache. Der Kirchenpfleger hat das Wort.
Einige unter sich: Es ist ja nur der Kirchenpfleger. Er ganz allein! Die andern Fünf machen nur mit, weil sie ihn brauchen, wenn der Kirchengrund wieder neu verpachtet wird. - So läuft also der Hase.
Der Vorsitzende: Ich bitte um Ruhe. Hören Sie doch, was der Kirchenpfleger zu sagen hat.
Kirchenpfleger: Der Vorfall von Egling geht uns alle an. Deshalb möchten die Antragsteller erreichen, daß sich die ganze Pfarrei geschlossen und in aller Form von unserem Pfarrer distanziert. Dann soll der Hochwürdigste Herr
Erzbischof um die sofortige Versetzung des Pfarrers gebeten werden.
Zwischenruf: Geh' doch selber, wenn dir der Pfarrer nicht paßt! -- Mayerhofer! Paß nur auf, daß sie dir keine alten Stiefel und keinen Koffer vor die Tür stellen.
Vorsitzender: Bitte, keine Zwischenrufe! Wer etwas zu sagen hat, möge die Hand heben.
Ein Antragsgegner: Ich bin dem Pfarrer dankbar, daß er es zu einer Gerichtsver-handlung hat kommen lassen. Dieser Pfarrer hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich sehe keinen Grund, mich von ihm zu distanzieren,
oder gar seine Versetzung zu unterstützen.
Kirchenpfleger: Der Pfarrer hat die Kirche angegriffen. Er hat sein Amt mißbraucht. Er muß weg!
Einer :Was kümmert uns die Kirche! Es geht zu allererst um uns. Um jeden einzelnen von uns. Ich lehne den Antrag ab.
Einer: Und überhaupt! Der Erzbischof braucht unsere Stellungnahme nicht. Er tut ohnehin immer, was er will. Ich beantrage, daß wir dem Pfarrer geschlossen das Vertrauen aussprechen.
Einer: Seit dieser Pfarrer da ist, weiß ich, daß wir von der Kirche nur angesungen werden. Denkt doch nur an das Märchen von der unsterblichen Seele, die nach dem Tod in den Himmel, oder in die Hölle kommen soll.
Einer: Man hat die Seelen doch nur für unsterblich erklärt, damit wir für die Ver-storbenen regelmäßig Messen lesen lassen. Diese Einsicht verdanke ich dem Pfarrer.
Einer: Wir Menschen gleichen doch alle mehr den Affen , als dem allmächtigen Gott im Himmel.
Kirchenpfleger: Du ganz gewiß! Du Urwald-Aff !
Vorsitzender: Bitte, keine Beleidigungen. Wer sich nicht daran hält, wird aus dem Saal verwiesen.
Noch einer: Der Pfarrer hat mir die Augen geöffnet. Jetzt weiß ich: Nicht einmal die Liebe haben wir von Gott. Sonst müßten wir ihn lieben können.
Nicht nur ein bißchen, sondern mit ganzer Seele, aus ganzem Herzen und mit allen unseren Kräften. Dazu sind wir nicht fähig. Unser Pfarrer macht uns nichts vor, deshalb soll er bleiben.
Eine Frau: Dem kann ich nur zustimmen. Von aller Anfang an hätte sich der Vater im Himmel jedem Menschen zu erkennen geben müssen. Es dürfte nicht vorkommen, daß die Menschen überall falschen Göttern nachlaufen. Unsere Kinder laufen ja auch nicht den falschen Eltern nach. Ich weiß nicht, was du gegen den Pfarrer hast, und was du an diesem Glauben so toll findest, daß du ihn auf Biegen und Brechen verteidigen mußt.
Einer: Wir können dem Pfarrer doch nicht böse sein, nur weil er die Wahrheit sagt. Kirchenpfleger, ich frage dich: Was ist denn los mit dir? Du bist ja nicht wiederzuerkennen.
Vorsitzender: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: In dieser Pfarrversammlung geht es nicht um die unsterbliche Seele, auch nicht um die Liebe zu Gott. Unsere Frage lautet: Soll der Pfarrer bleiben? Oder soll seine Versetzung beantragt werden?
Kirchenpfleger: Bevor wir darüber abstimmen, muß ich noch kurz auf meine Vor-redner eingehen. Was diese gesagt haben, stimmt nicht. Ihre Einwendungen sind allesamt mit der Erbsünde erklärbar. Wegen dieser Erbsünde sind wir auf die Kirche angewiesen.
Ein anderer: Erbsünde! Die Religionswissenschaftler bezeichnen sie als einen Mythos. Ich kann nur sagen: Wer deinem Antrag zustimmt, lebt hinter dem Mond.
Kirchenpfleger: Die Kirche leitet uns sicher an allen Irrtümern vorbei. Sie ist unfehlbar. Der Pfarrer hat dieses Vertrauen untergraben, deshalb muß er fort aus unserer Gemeinde.
Antragsgegner: Der Pfarrer soll bleiben, wo er ist. Dein Gerede von der Unfehlbarkeit kotzt mich an.
Einer: Die traurige Wahrheit ist doch: Die Kirche hat über Jahrhunderte hindurch großen Scheiß gebaut, gerade was die sogenannte Wahrheit angeht. Dein Antrag ist abzulehnen. Wenn einer gehen soll, dann du.
Der Vorsitzende: Keine weiteren Wortmeldungen. Es kann also über den Antrag des Kirchenpfleger Mayerhofer abgestimmt werden. Also: Der Erzbischof soll den Pfarrer abberufen. Wer will diesen Antrag unterstützen? Ich bitte um Handzeichen. Es sind fünf Handzeichen, ja, genau fünf. Ich bitte um die Gegenprobe. Wer ist gegen den Antrag? Ich bitte um die Handzeichen. Ich habe sechsundachzig gezählt. Wer hat mitgezählt? Es stimmt also, sechsundachzig Gegenstimmen. Jetzt die Enthaltungen. Keine Enthaltungen. Ich stelle fest: Der Antrag des Kirchenpflegers ist abgelehnt. Damit ist der einzige Punkt der Tagesordnung behandelt. Ich erkläre die Pfarrversammlung hiermit für beendet.
Kirchenpfleger: Kommt, wir gehen. Hier haben wir nichts mehr verloren.
Eine Frau: Jetzt holen wir den Pfarrer. Er soll sofort das Ergebnis erfahren.
Der Vorsitzende: Lieber Pfarrer! Ich darf dir das Ergebnis der Abstimmung mitteilen. Mit sechsundachzig gegen fünf Stimmen, und ohne Enthaltungen, ist der Antrag des Kirchenpflegers abgelehnt worden. Du kannst also weiterhin unser Pfarrer sein.
Pfarrer: Ich danke euch für diesen überwältigenden Vertrauensbeweis. Ja, ich bin zutiefst gerührt. Jetzt weiß ich, daß ich nicht umsonst bei euch war.
Einer: Was soll das heißen? Willst du jetzt doch gehen?
Pfarrer: Ja, so ist es. Glaubt mir, es fällt mir nicht leicht. Ich kann aber kein Pfarrer mehr sein. In dieser Kirche habe ich keine Heimat mehr. Ich werde das Pfarrhaus in den nächsten Tagen verlassen.
Eine Frau: Herr Pfarrer! Wenn du nicht wissen solltest, wo du ein Dach über dem Kopf findest, dann komm zu uns. Du sollst wissen, unser Haus ist groß
genug. Der Kirchenpfleger wird sich grün und blau ärgern, wenn er erleben
muß, daß du weiterhin bei uns in der Pfarrei bist.
Pfarrer: Danke, Walli, für dieses Angebot. Das ist sehr lieb von dir. Ich
werde aber nach München gehen. Es ist schon soviel wie sicher.
Einer: Du willst also wirklich ausziehen. Ist das dein letztes Wort?
Pfarrer: Ich habe keine andere Wahl. Ich mußte einsehen, daß mein ganzes Leben als Pfarrer nur auf reiner Selbsttäuschung und Einbildung aufgebaut war. Es ist höchste Zeit, daß ich einen neuen Anfang mache. - Ohne Kirche.
Eine Frau: Lieber Herr Pfarrer! Wir brauchen dich. Du kannst uns jetzt nicht sitzen lassen.
Pfarrer: Ich lasse euch nicht sitzen. Ich tue, was ich kann. Und das in aller Öffentlichkeit. Jetzt seid ihr selber an der Reihe. Ihr müßt euch entscheiden, ob ihr in der Kirche bleiben wollt oder nicht.
Einer: Wir sollen also aus der Kirche austreten. Das sagst du so einfach.
Pfarrer: So ist es. Ich sehe keine andere Wahl.
Eine Frau: Ja, darüber müssen wir unbedingt reden.
Eine andere: Möglichst bald. Wann können wir uns denn treffen?
Eine Frau: Wenn das Berufungsverfahren beim Landgericht vorbei ist.
Eine andere: In ein paar Tagen hat auch unsere Christine ihr theologisches Diplom in der Tasche. Sie kann uns dann als Fachfrau und Expertin beraten.
Einer: Treffen wir uns doch gleich am Montag nach dem Berufungsverfahren.
Eine Frau: Um halb acht Uhr im Gasthof zur Post.
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