Einer: Christine, Grüß dich Gott! Gut, daß du gekommen bist. Laß dir noch einmal Glück wünschen zum bestandenen Staatsexamen.
Christine: Danke. Es ist vorbei. Vorbei und vergessen, kann ich nur sagen. Das ist die Hauptsache. Jetzt aber zur Sache.
Eine: Was sollen wir tun? Du weißt, der Pfarrer meint, wir sollen aus der Kirche austreten. Was sagst du dazu?
Ein anderer: Du hast ja Theologie studiert, wie ein richtiger Pfarrer. Gerade deshalb ist es uns sehr wichtig, was du sagst.
Christine: Hätte ich nur damals auf den Pfarrer gehört, dann hätte ich mir ein Zweitstudium ersparen können. Zu euch gesagt: Jetzt, da ich mein Diplom endlich in der Tasche habe, können mich keine zehn Pferde mehr in der Kirche halten. Ich habe bereits meinen Austritt erklärt.
Eine Frau: Was! Du bist tatsächlich schon aus der Kirche ausgetreten! Was hat dich dazu bewogen?
Christine: Ich mußte einsehen, daß der Pfarrer recht hat. Ich kann euch also beim besten Willen nicht mehr überreden, in der Kirche zu bleiben. Nein, ich will euch für den Austritt gewinnen. Zu diesem Zweck habe ich mir ein kleines Interview mit Jesus einfallen lassen. Es soll euch die Entscheidung erleichtern. Wenn ihr es hören wollt, lese ich es euch gerne vor.
Alle: Bitte, Christine, laß hören.
Christine: Also, damit kein Irrtum entsteht: Die Fragen des Reporters und auch die Antworten darauf sind reine Erfindungen.
Reporter: Herr Jesus, zur Jahrtausendwende wird Ihnen von der ganzen Christenheit ein großes Fest bereitet. Vielleicht wird es das größte sein, das die Welt je erlebt hat. Ihr furchtbarer Tod am Kreuz und auch Ihre
glorreiche Auferstehung werden dabei im Mittelpunkt stehen. Erlauben Sie mir deshalb, im Vorfeld dieses kommenden Ereignisses einige Fragen zu stellen: Haben Sie beim Letzten Abendmahl bereits von Ihrer unmittelbar bevorstehenden Verhaftung gewußt?
Jesus: Ich hatte nicht die leiseste Ahnung von meiner Verhaftung in jener Nacht. Ich wußte zwar, daß ich in Gefahr war, und daß mir die Hohen Priester nach dem Leben trachten.
Reporter: Herr Jesus, es steht geschrieben, daß Sie nach dem Mahl sofort auf den Ölberg gegangen sind, obwohl Sie vom Verrat des Judas gewußt hatten. Haben Sie ihre Gefangennahme tatsächlich gewollt und sogar herbeigesehnt?
Jesus: Keineswegs. Ich bin mit den Jüngern nur deshalb auf den Ölberg gegangen, weil ich mich dort absolut sicher wähnte. Wenn ich gewußt, oder auch nur geahnt hätte, was mir dort bevorstehen würde, wäre ich ganz gewiß nicht dorthin gegangen.
Einer: Schau, schau! Die Evangelisten haben Jesus also nur nachträglich zum Gottesknecht und zum Lamm Gottes gemacht.
Reporter: Herr Jesus! Der Evangelist Matthäus berichtet, daß Petrus Ihre Verhaftung verhindern wollte. Er hatte einem Diener mit seinem Schwert das Ohr abgeschlagen, das Sie sofort wieder anwachsen ließen. Dabei haben Sie auf zwölf Legionen Engel verwiesen, die Ihnen zu Hilfe kommen würden. Haben Sie auf Ihre Rettung ver-zichtet, damit Sie verhaftet werden konnten?
Jesus: Natürlich nicht. Die wunderbare Heilung des Ohres und die zwölf Legionen himmlischer Heerscharen gehören nicht zur geschichtlichen Wirklichkeit, sondern zu einem reichhaltigen Mythos, der später um mein
Leiden und Sterben entstanden ist.
Einer: Und der Evangelist hat uns diese Geschichten als bare Münze verkauft. Wenn ich könnte, würde ich ihn noch heute wegen Vortäuschung falscher Tatsachen vor Gericht bringen.
Reporter: Herr Jesus, Sie sind mit zwei Räubern gekreuzigt worden. Sind Sie von diesen Übeltätern tatsächlich vom Kreuz herab noch beschimpft und beleidigt worden?
Jesus: Auch davon weiß ich nichts. Bedenken Sie nur: Mit der Kreuzigung beginnt der Todeskampf. Da schwindet jedes Interesse an der Umwelt.
Reporter: Wenn ich dem Evangelisten Johannes glauben darf, so war Ihr eigenes Verhalten am Kreuz in keiner Weise durch den Todeskampf bestimmt. Deshalb meine Frage: Haben Sie sich am Kreuze hängend tatsächlich in aller Ruhe noch um Ihre Mutter und um Ihren Lieblingsjünger gekümmert? Haben Sie für Ihre Feinde noch wirklich gebetet und dem guten Schächer sogar noch versprochen, daß er am selben Tag mit Ihnen im Paradies sein würde?
Jesus: Die Evangelisten haben mir übernatürliche Kräfte angedichtet. Sie haben wirklich keine Gelegenheit versäumt, mich als den Sohn Gottes bekannt zu machen. Denn nur mit mir als Sohn Gottes konnten sie ihre eigene Karriere machen.
Ein anderer: Unglaublich, was uns in der Heiligen Schrift zugemutet wird. Und ich war so dumm und habe alles schön brav geglaubt.
Reporter: Herr Jesus, Sie haben am Kreuze hängend nichts anderes im Sinn gehabt, als die Heilige Schrift zu erfüllen. Nur deshalb sollen Sie gerufen haben: Mich dürstet. Und zu guter Letzt auch noch: Es ist vollbracht. War das wirklich so?
Jesus: Nein, so war es nicht. Wer am Kreuz hängt und langsam verblutet, denkt nicht mehr an die Erfüllung einer Schrift. Alles wird einem unwichtig. Man möchte nur noch, daß diese unerträglichen Schmerzen ein Ende nehmen.
Einer: Der Ruf: Mich dürstet, ist mir schon immer höchst spanisch vorgekommen. Dann habe ich mir gedacht: Es wird schon stimmen, sonst stünde es nicht geschrie-ben.
Ein anderer: Den Verzweiflungsschrei: 'Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?', habe ich für realistisch gehalten. Daß man aber nach drei Stunden am Kreuz dazu keine Kraft mehr haben könnte, das habe ich leider nicht bedacht.
Reporter: Herr Jesus, Nach Matthäus soll es bei Ihrem Sterben und bei Ihrer Auferstehung jeweils ein gewaltiges Erdbeben gegeben haben. Es heißt ausdrücklich, daß sich sogar die Felsen gespalten hätten.
Jesus: Dieses Erdbeben hätte mit Sicherheit den Tempel zum Einsturz gebracht. Ganz Jerusalem wäre in ein Trümmerfeld verwandelt worden. Es ist aber zu keiner Katastrophe gekommen. Der Evangelist berichtet wieder die glatte Unwahrheit.
Einer: Genau, wie der Pfarrer gesagt hat: Der Evangelist Matthäus lügt das Blaue vom Himmel herunter.
Reporter: Herr Jesus! Matthäus berichtet sogar, daß die Toten in großer Zahl die Gräber verlassen hätten. Diese wären in Jerusalem vielen Leuten erschienen. Was sagen Sie dazu?
Jesus: Es handelt sich auch hier um eine Falschmeldung. Dieses Ereignis hätte in der ganzen Welt ein gewaltiges Aufsehen hervorgerufen. Es wird aber nirgends davon berichtet. Daraus kann ich nur folgern, daß keiner von den
Toten sein Grab verlassen hat.
Reporter: Herr Jesus! Josef von Arimathäa hat Ihren Leichnam vom Kreuz abge-nommen und in ein Leinentuch gehüllt. Dieses Tuch trägt seither den Abdruck Ihres Gesichtes. Es wird im Dom von Turin aufbewahrt und hoch
verehrt. Über die Echtheit dieses Leinentuches gehen die Meinungen aber weit auseinander.
Jesus: Was dieser Mann mit meinem Leichnam gemacht hat, weiß ich nicht. ichtiger als die Echtheit dieses Leinentuches ist für mich die absolute Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der Evangelien. Diese Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit ist aber leider nirgends gegeben.
Einer: Und diese Schrift soll die heilige Offenbarung Gottes sein. Worte des lebendigen Gottes! Nein, danke!
Reporter: Herr Jesus, die Hohenpriester und Pharisäer haben Ihr Grab bewachen lassen. Trotzdem haben Sie das Grab unbemerkt verlassen. Warum wollten Sie nicht, daß Ihre Auferstehung beobachtet wird?
Jesus: Wenn ich tatsächlich leibhaftig von den Toten auferstanden wäre, hätte ich kein Geheimnis daraus gemacht. Ich hätte alle Zweifel für immer ausgeräumt. Ich wäre allen in aller Öffentlichkeit erschienen. Jeder hätte
seinen Finger in die Wund-male meiner Hände und Füße stecken dürfen. Und wer dann immer noch nicht zufrieden gewesen wäre, hätte seine Hand auch noch in meine Seitenwunde legen dürfen. So hätte ich in der kurzen Zeit bis zur Himmelfahrt alle Menschen überzeugt, daß ich tatsächlich der Sohn Gottes
wäre. Auf keinen Fall hätte ich auf Erden auch nur einen einzigen Zweifler zurückgelassen.
Ein anderer: Das hätte ich auch so gemacht. Diese unverständliche Heimlichtuerei stinkt doch zum Himmel.
Reporter: Herr Jesus, mit diesem Verhalten hätten Sie sich in der Welt ein ganz und gar einmaliges Denkmal gesetzt. Alle Welt hätte erkannt, daß Sie wirklich der Sohn Gottes sind. Die Geschichte der Menschheit hätte einen
anderen Verlauf genommen.
Jesus: Als Sohn Gottes hätte ich dafür gesorgt, daß die vielgepriesene Erlösung hier und jetzt und für immer erfolgen würde. Als Sohn Gottes hätte ich alles getan, daß aus religiösen Gründen kein Tropfen Blut mehr fließen
würde. Zur rechten Zeit wäre ich überall in der Welt erschienen und hätte nach dem Rechten gesehen. Es hätte keinerlei Menschenopfer, keine Judenverfolgungen, keine Kreuzzüge, keine Inquisi-tionen, keine Religionskriege und auch keine gewaltsamen Bekehrungen gegeben. Als das Licht der Welt, das allen Menschen leuchtet, hätte ich die gesamte Menschheit vor jeder Verirrung bewahrt. Zu jeder Zeit und an allen Orten hätte mich die
ganze Menschheit als ihren Erlöser erlebt.
Ein anderer: Wie die Sonne wäre Jesus dann aufgegangen. Alle hätten zu ihm aufgeschaut und von ihm Heil und Leben erhalten.
Reporter: Herr Jesus! Die Evangelisten berichten aber nur von Erscheinungen im engsten Kreis von Vertrauten. Wie erklären Sie diese völlig unangebrachte Geheimnistuerei ?
Jesus: Diese Geheimnistuerei war für die Evangelisten absolut notwendig und unentbehrlich. Nur damit konnte der Glaube von meiner angeblichen Auferstehung über-haupt erst entstehen und erfolgreich verbreitet werden. Den
Evangelisten blieb deshalb keine andere Wahl, als alles mit großen Geheimnissen zu umhüllen. Das Geheimnisvolle und Unerklärliche wurde immer schon als übernatürlich und göttlich angesehen. Es übt auch heute noch eine große Anziehungskraft aus, der nur schwer zu widerstehen ist.
Reporter: Herr Jesus, Sie haben gesagt: Wer bittet, der empfängt, und wer anklopft, dem wird aufgetan.
Jesus: Das habe ich gesagt, weil ich damals noch an einen Vater im Himmel geglaubt hatte. Dieser Glaube an einen Vater im Himmel hat mich enttäuscht. Ich bin damals einem schrecklichen Irrtum aufgesessen.
Reporter: Herr Jesus! Für viele sind Sie der Einzige, der nichts zu bereuen hat. Sie allein haben immer und überall den Willen Ihres himmlischen Vaters erfüllt.
Jesus: Sie täuschen sich. Auch ich habe in meinem Leben einen schweren und ver-hängnisvollen Fehler gemacht habe.
Reporter: Herr Jesus, welchen Fehler meinen Sie damit?
Jesus: Mein größter Fehler war, daß ich auf Johannes den Täufer gehört habe. Auf seine Drohpredigten über den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang bin ich hereingefallen. Ich habe mir von ihm tatsächlich Angst machen lassen. Und seltsam, niemand kreidet es mir an. Bis heute nicht.
Einer: Ich finde es tröstlich, daß auch Jesus einem Prediger auf den Leim gegangen ist. Wir sind also in bester Gesellschaft.
Reporter: Für einen Großteil der Menschheit sind Sie ohne Wenn und Aber der Sohn Gottes, der vom Himmel herab in diese Welt gekommen ist. Möchten Sie das ändern?
Jesus: Ich würde es gerne ändern, wenn ich könnte. Um der Wahrheit willen.
Einer: Wetten, daß die Kirche das verhindern wird! Das ist ihr noch immer gelungen. Sie verhindert jede Aufklärung in Sachen Heilige Schrift. Das darf aber nicht so weiter gehen.
Reporter: Herr Jesus, wie wollen Sie beweisen, daß die Gläubigen auf einen Sohn Gottes hereingefallen sind?
Jesus: Wenn ich das wüßte! Nur der Evangelist Markus stellt mich als Mitglied einer kinderreichen Familie vor. Er nennt sogar die Namen meiner Brüder: Jakobus, Joses, Judas und Simon.
Einer: Dieser Evangelist wußte also noch nichts von einer jungfräulichen Gottes-gebärerin. Da werden die Marienverehrer aus allen Wolken fallen, wenn sie mit dieser Tatsache konfrontiert werden.
Reporter: Herr Jesus, in der gesamten Christenheit werden Ihre leiblichen Brüder und Schwestern für weitschichtige Verwandte gehalten. Haben Sie noch andere, wirklich überzeugende Hinweise, daß Sie nicht als Sohn Gottes vom Himmel herab-gekommen sind?
Jesus: Direkte Hinweise sind spärlich. Nur wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, kann erkennen, daß ich alles andere, nur nicht der Sohn Gottes bin.
Reporter : Was ließe sich da zum Beispiel zwischen den Zeilen herauslesen?
Jesus: Während der Schwangerschaft verbrachte meine Mutter über drei Monate im Haus des Zacharias und ihrer Base Elisabeth. Diesen war angeblich bekannt, daß meine Mutter den 'Sohn Gottes' gebären würde. Trotzdem ließen sie meine Mutter sang- und klanglos und ohne jegliche Begleitung den beschwerlichen Heimweg antreten. Aus dieser Tatsache könnte man bereits erkennen, daß es einfach nicht stimmt, was da geschrieben steht.
Reporter: Herr Jesus! Es steht uns nicht zu, einen biblischen Bericht kritisch zu hinterfragen. Würden Sie dies für uns tun?
Jesus: Das geht schon an mit der Ankündigung der Geburt des 'Gottessohnes' durch den Erzengel. Das war alles andere, nur keine Privatsache im Leben meiner Mutter. Ganz Israel hätte auf dieses kommende Ereignis vorbereitet werden müssen. Und nicht nur das. Die 'Menschwerdung Gottes' wäre für die ganze Menschheit von größter Bedeutung gewesen. Die ganze Welt hätte von aller Anfang an davon erfahren müssen. Diese Verheißung geschah aber nur im stillen Kämmerlein, also unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Das macht keinen
Sinn.
Eine Frau: Die schönen Darstellungen von der Verkündigung an Maria sind also aus bloßen Träumen erwachsen. Und die Marienlieder vom Engel des Herrn auch. Wer hätte das gedacht!
Reporter: Herr Jesus! Die Verheissung vom Kommen des 'Gottessohnes ' ist ein sehr wichtiges Ereignis. Darf ich Sie bitten, noch näher darauf einzugehen?
Jesus: Gerne. Zuerst ist festzustellen: Das Verhalten des Zacharias und seiner Frau Elisabeth ist vollkommen unrealistisch. Wenn der Engel Gottes wirklich zu meiner Mutter gekommen wäre, hätte Zacharias dieses Ereignis mit Sicherheit in Jerusalem bekannt gemacht. Diese Nachricht hätte sich wie ein Lauffeuer in ganz Jerusalem verbreitet. Die Hohenpriester wären tätig geworden. Auf keinen Fall hätten sie diese begnadete Jungfrau mit dem 'Sohn Gottes' unter ihrem Herzen allein nach Nazareth zurückkehren lassen. Statt dessen wäre sie in Jerusalem mit aller nur möglichen Aufmerksamkeit und Fürsorge umgeben worden.
Einer: Ich wundere mich über mich selber. Wie konnte ich nur so blauäugig alles glauben, was da geschrieben steht?
Reporter: Herr Jesus! Dieser Besuch Ihrer Mutter im Hause des Zacharias und der Elisabeth ist durch das Magnificat berühmt geworden. Eine Tatsache, die nicht zu leugnen ist.
Jesus: Dieser Lobgesang ist eine spätere Dichtung, die vom Evangelisten aus verschiedenen Teilen zusammengefügt worden ist. Damit steht fest, daß das Magnificat damals weder von meiner Mutter jemals gesungen, noch von Elizabeth jemals gehört worden ist.
Eine Frau: Entschuldige die Unterbrechung! Stimmt dann wenigsten der Bericht über ihren Besuch bei der Base Elisabeth, wenn schon das Magnificat eine reine Erfindung ist?
Einer: Da fragst du noch? - Wo man hinschaut, muß man feststellen: Die Evangelisten lügen das Blaue vom Himmel herunter.
Reporter: Herr Jesus! Zum Herzstück des Evangeliums gehört ohne Zweifel Ihre Geburt im Stall von Betlehem. Kein Wunder, daß die himmlischen Heerscharen dabei in Verzückung geraten sind.
Jesus: Das Evangelium und mein Leben sind so verschieden wie Tag und Nacht. Als 'Sohn des Allerhöchsten' und als der 'Friedensfürst' , der über das Haus Jakob in Ewigkeit herrscht, hätte ich von aller Anfang an im öffentlichen
Interesse stehen müssen. Trotz aller angeblichen himmlischen Heerscharen in der Heiligen Nacht, bin ich aber bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr unbekannt geblieben.
Einer: Diese Tatsache müßte doch alle Gläubigen stutzig machen. Leider tut es das nicht. Nicht einmal der Stern, der die drei Weisen aus dem Morgenland geführt haben soll, und der dann über dem Kind angeblich stehen geblieben ist, wird kritisch unter die Lupe genommen. Obwohl man weiß, daß Himmelskörper niemals stehen bleiben, wird dieser Bericht für wahr gehalten.
Einer: Ich frage mich, ob sich diese drei Weisen wirklich jemals auf den Weg gemacht haben.
Ein anderer: Wenn du mich fragst: So wenig, wie ein Stern jemals stehen bleibt, so wenig haben sich die drei Weisen auf den Weg gemacht. Es handelt sich dabei nur um schöne Einfälle, um Anhänger zu gewinnen.
Reporter: Herr Jesus! Als Maria mit Ihnen schwanger war, und ihre Base Elisabeth besuchte, hüpfte der spätere Johannes der Täufer vor Freude im Leib seiner Mutter. Sie und Johannes kannten sich also bereits vor der Geburt. Ist das nicht höchst ungewöhnlich?
Jesus: Noch unbegreiflicher ist die Tatsache, daß Johannes der Täufer mich nicht kannte, obwohl unsere Mütter nicht nur eng befreundet, sondern sogar verwandt waren. So mußte er mich vom Kerker aus noch eigens fragen lassen, ob ich es wäre, der da kommen soll, oder ob er auf einen anderen warten müßte?
Einer: Johannes der Täufer hätte doch längst wissen müssen, daß Jesus der Sohn Gottes ist. Nach dem Evangelium des Matthäus wußte er aber nichts davon.
Ein anderer: Dagegen berichtet der vierte Evangelist das glatte Gegenteil. Danach hätte Johannes der Täufer den Jesus schon von weitem erkannt. Voller Begeisterung hätte er ausgerufen: Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.- Wo man hinschaut, nichts als Unstimmigkeiten.
Reporter: Herr Jesus, mir fällt auf, daß Sie die Ergebnisse der modernen Bibelwissenschaft nicht berücksichtigen wollen.
Jesus: Und das mit Recht. Schon die Bezeichnung Bibelwissenschaft ist eine Anmaßung sonder gleichen.
Reporter: Herr Jesus, damit treffen Sie die Professoren der Theologie aller Universitäten und Hochschulen. Wie begründen Sie dieses vernichtende Urteil?
Jesus: Diese sogenannten Gelehrten fragen nicht: Kann sich der eine Gott den Juden, Christen und Moslems auf so unterschiedliche und widersprüchliche Weise offenbaren, wie das in den verschiedenen Heiligen Schriften dieser drei Religionen tatsächlich behauptet wird? Statt dessen halten sie ihre jeweilige Heilige Schrift ohne jedes Wenn und Aber für das geoffenbarte Wort des lebendigen Gottes.
Christine: Das sollte einstweilen genug sein.
Eine Frau: Du glaubst also gar nichts mehr.
Christine: Ich habe bis jetzt alles geglaubt, was mir vorgesetzt worden ist. Wie ein Kind habe ich alles als bare Münze angenommen. Aber diese Zeiten sind vorbei.
Einer: Was ist denn geschehen? Irgendetwas muß dich doch stutzig gemacht haben.
Christine: Es war kein Geistesblitz. Es ging alles ganz langsam. So habe ich ich immer wieder gefragt: Kann das wirklich wahr sein, was ich in der Vorlesung zu hören bekomme? Nach und nach ist mir dann klar geworden, daß es nicht stimmt.
Eine Frau: Was war dir dann so spanisch vorgekommen?
Christine: Zum Beispiel die Sache mit der Willensfreiheit. Daß sich der Mensch mit göttlicher Erlaubnis auch für das Böse entscheiden kann.
Eine andere: Das Böse geschieht doch überall auf der Welt.
Christine: Freilich geschieht es überall auf der Welt. Aber nicht mit der Zustimmung Gottes. Auch nicht mit seiner stillschweigenden Billigung! Denn wenn Gott ein Verbrechen geschehen läßt, obwohl er es tatsächlich verhindern
könnte, würde er sich schuldig machen. Das kann nicht sein.
Einer: Die Theologen sind also für dich nicht glaubwürdig.
Christine: Genau. Es ist ihr Geschäft, eine Lehre zu verkaufen, die hinten und vorne nicht stimmt.
Eine Frau: Das sind allerdingst sehr schwere Vorwürfe. Ich kann sie kaum verkraften.
Christine: Mich hat das auch sehr traurig gemacht. Aber so ist es nun einmal. Ich habe jeden Respekt vor den Theologen verloren. Ich sag' dir auch warum. Ich erinnere mich beispielsweise noch an die Vorlesungen über das Magnificat im Lukasevangelium, also über die Entstehung jenes berühmten Lobgesanges der Maria bei ihrer Base Elisabeth. Was mich damals wirklich fasziniert hatte, war die Tatsache, daß dieses berühmte Magnificat nicht von Maria stammte, sondern, daß praktisch alle Verse aus verschiedenen Stellen des Alten Testaments nachträglich zusammengeschustert wurden.
Eine Frau: Es heißt doch ausdrücklich, daß Maria gesagt hat: 'Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.' Warum willst du das nicht gelten lassen?
Christine: Weil lange vor Maria schon Hanna so gebetet hat. Manche Teile des Magnificats befinden sich bereits im ersten Buch Samuel. Andere stammen aus verschiedenen Psalmen. Sogar aus dem Buch Ezechiel und aus dem Buch Ijob und Habakuk sind einige Verse entnommen.
Eine andere: Das darf doch nicht wahr sein.
Christine: Während einer Seminarstunde sind wir wieder auf das Magnificat zu sprechen gekommen. Da habe ich den Professor gefragt, warum wir nicht gleich nach dem Ursprung der ganzen Offenbarung fragen? Es wäre doch möglich, daß wir eine ähnliche Überraschung erleben könnten. Was meint ihr, daß mir der
Professor geantwortet hat?
Einer: Nun sag' schon.
Christine: 'Es wird auf unserer Erde auf allen Gebieten viel geforscht, ohne aß sich die einzelnen Gelehrten den Kopf zerbrechen über den Ursprung dieses Planeten. Es genügt ihnen, daß es die Erde eben gibt. Auf dieser Tatsache arbeiten und forschen sie.' Dann sagte er: 'Wir in der Theologie haben die Offenbarung Gottes als unsere unverzichtbare Grundlage. Sie ist für uns absolut sicher.' Vielleicht hat er gemerkt, daß ich ihm das nicht abnehmen kann, deshalb hat er noch hinzugefügt: 'Die Offenbarung Gottes steht für uns ebenso unverrückbar fest wie die Erde für die Naturwissenschafter. Auf dieser Voraussetzung und Grundlage arbeiten und forschen wir Theologen.' Das ist unglaublich. Er hat es aber wirklich gesagt.
Einer: Man kann doch unseren Planeten Erde nicht mit der Offenbarung Gottes gleichsetzen. Die Wirklichkeit dieser Erde erfahren wir jeden Augenblick. Den Gott mit seiner Offenbarung aber nicht. Hast du deinen Professor nicht darauf aufmerksam gemacht?
Christine: Nein. Ich konnte nicht. Ich wollte nicht unangenehm auffallen. Schließlich mußte ich bei ihm mein Examen machen.