Ketzerblätter

Hier werden literarische und nichtliterarische Texte veröffentlicht, die sich kritisch mit Unterdrückung, Menschenrechtsmißachtung und Verfolgung aus religiösen, politischen, philosophischen oder sonstigen Gründen auseinandersetzen

 

 

 

 

Willi Glas,

zwangpensionierter katholischer Priester und Schriftsteller:

Ein christliches Begräbnis.
Ein Volksstück, Ludwig Thoma nachempfunden

Thema: Aufstand in Bayern oder das Ende der C-Parteien
 

Mitwirkende:

Kläger: Erhard Kammerloher, Pfarrer von Linden
Sein Rechtsanwalt: Dr. Oberberger 
Angeklagter: Ludwig Steinhuber, 
Präsident der marianischen Männerkongregation 
Sein Rechtsanwalt : Dr. Eisenhofer 
Richter: Dr. Königbauer 
Gerichtsdiener : Josef Messerer 
Sachverständiger: Dr. Waldhauser
Zuschauer : Einwohner aus Egling und Umgebung
Kirchenpfleger: Michael Mayerhofer
Diplom Theologin Christine Summerer
Stammtisch: Wirt und Stammgäste
Journalistin: Lebensgefährtin des Pfarrers 

 

2.

Die zweite Verhandlung

 


Zuschauer unter sich: Ich sag' euch: Der Pfarrer hat schon verloren! Stellt
euch vor: Der Erzbischof ist sehr verärgert über ihn. Er erwartet, daß sofort Ruhe ist. Kein Wort mehr in dieser Sache. Diese Verhandlung schadet nur dem Ansehen der Kirche, soll er gesagt haben. - Wahrscheinlich ist dem Erzbischof dieser Prozess furchtbar peinlich. - Das glaube ich auch. Es könnte sich nämlich herausstellen, daß der Pfarrer recht hat.

Ein anderer: Schau, dort kommt der Pfarrer. Ich bin gespannt, was er Neues
zu berichten hat.

Einer: Wie geht es Ihnen, Herr Pfarrer?

Kläger: Den Umständen entsprechend, wie vor einer großen Operation.

Einer: Sie hätten das alles leicht verhindern können.

Pfarrer: Ich konnte nicht. Ich hätte meine Aussage von Egling widerrufen
müssen. Bedenke doch: Seit Jahr und Tag setze ich mich mit dem Glauben der
Kirche auseinander. Jetzt bringe ich diesen Glauben endlich auf den
Prüfstand. Noch dazu in aller Öffentlichkeit! Eine solche Gelegenheit kommt
nie wieder.

Gerichtsdiener: Aufgerufen ist zur Verhandlung: Kammerloher gegen Steinhuber. Bitte die Plätze einnehmen.

Richter: Die Sitzung ist eröffnet. Zu allererst eine Frage an den Kläger:
Herr Kammerloher, ziehen Sie Ihre Klage gegen Herrn Steinhuber zurück?

Kläger: Nein! Ich ziehe meine Klage nicht zurück.

Richter: Sie stehen auch weiterhin zu Ihrer Behauptung: 'Man braucht nicht
alles glauben, was gepredigt wird, denn die Evangelisten lügen das Blaue vom
Himmel herunter.'

Kläger: Das ist richtig. Ich bin auch bereit, dafür den Wahrheitsbeweis
anzutreten.

Richter: Haben Sie keinen eigenen Sachverständigen?

Kläger: Euer Ehren! Ich habe keinen Sachverständigen gefunden, der bereit
wäre, gegen die offizielle Lehre der Kirche eine öffentliche Aussage zu
wagen. Diese Herrn wissen alle nur zu gut, daß sie mit schwerwiegenden
Konsequenzen zu rechnen hätten.

RA Dr. Eisenhofer: Einspruch! Euer Ehren. Die Zeiten der unseligen
Inquisition sind endgültig vorbei. Heute kann jeder seinen Standpunkt
vertreten, ohne irgendwelche Nachteile zu erleiden.

RA Oberberger: Einspruch! Euer Ehren!

Richter: Herr Rechtsanwalt, Sie haben das Wort.

RA Dr. Oberberger: Euer Ehren! Die Behauptung meines Kollegen Dr.
Eisenhofer entspricht nicht der Wahrheit. Weiter stelle ich fest: Der
Erzbischof hat auf die Äußerung meines Mandanten bis heute noch mit keinem
einzigen Wort öffentlich Stellung genommen. Er kann nicht. Er müßte nämlich
zugeben, daß das Kommen des Menschensohnes auf den Wolken des Himmels keine
göttliche Offenbarung ist. Denn schon lange vor der Zeit der Evangelisten
ließen die Menschen anderer Kulturen ihre Gottheiten auf den Wolken des
Himmels auf die Erde kommen.

Zuschauer unter sich: Dieser Rechtsanwalt kritisiert den Erzbischof. Wer
hätte das gedacht! Schau da drüben sitzen die Leute von der Zeitung. Und wie
fleißig sie sind. Ehrfurcht vor dem Erzbischof kennt dieser Rechtsanwalt
keine. Und so einer will ein Rechtsanwalt sein. - Was habt ihr denn
Närrisches? Das ist doch gut so. - Ach was! Der Erzbischof ist keine
gewöhnliche Person. Er ist geweiht und voll des Heiligen Geistes. Das erhebt
ihn über uns alle. -- Daß ich nicht lache! Er ist ein Rindvieh wie wir alle.

Andere Zuschauer unter sich: Warum gibt denn der Pfarrer nicht nach? -
Warum sollte er denn nachgeben, wenn er den Wahrheitsbeweis antreten kann? -
Da bin ich aber gespannt. - Ich auch!

Richter: Ich bitte um Ruhe. Herr Pfarrer, Sie haben das Wort.

Kläger: Euer Ehren. Ich habe gesagt: Man braucht nicht alles glauben, was
geschrieben steht. Dazu meine Beweisführung. Ich beginne mit einer kurzen
Stelle aus der Heiligen Schrift: Die Stelle bezieht sich auf die
Berichterstattung über den Tod Jesu. Es heißt: Von der sechsten bis zur
neunten Stunde herrschte eine Finsternis im ganzen Land. Um die neunte Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lema sabachtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Weiter heißt es: Jesus schrie noch einmal laut auf. Dann hauchte er den Geist aus. - Und jetzt kommt das, worauf es mir ankommt. Es steht nämlich geschrieben: Da riß der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei. Die Erde bebte, und die Felsen spalteten sich. Die Gräber öffneten sich, und die Leiber vieler Heiligen, die entschlafen waren, wurden auferweckt. Nach der Auferstehung Jesu verließen sie ihre Gräber, kamen in die Heilige Stadt und erschienen vielen. - Euer Ehren, bitte überzeugen Sie sich selbst. Ich habe aus dem 27. Kapitel des Matthäus-Evangelium gelesen.

Richter: Schon gut, mir ist dieser Text bekannt. Fahren Sie fort.

Kläger : Der Evangelist berichtet von einem Erdbeben, das so stark gewesen
sein soll, daß sich die Felsen gespalten haben. Das wäre eine echte
Katastrophe gewesen, die ganz Jerusalem in ein einziges Trümmerfeld
verwandelt hätte. In Wirklichkeit war kein einziges Haus eingestürzt. Auch
der Tempel hatte durch dieses Erdbeben keinerlei Schaden gelitten. Nur den
Vorhang hat es von oben bis unten auseinandergerissen. Euer Ehren! Ich frage
Sie: Wo gibt es denn das, daß bei einem Erdbeben der Vorhang von oben
bis unten zerreißt, das Gebäude aber, in dem dieser Vorhang aufgehängt ist,
völlig unbeschädigt bleibt? - Das kann nicht sein. Der Evangelist berichtet
also von einem Geschehen, das es in Wirklichkeit nicht gegeben hat. Mit
anderen Worten: Er macht uns etwas vor. Man kann auch sagen: Er lügt das
Blaue vom Himmel herunter.

RA Dr. Deisenhofer: Einspruch, Euer Ehren! Darüber hat das unfehlbare
Lehramt der Kirche bereits entschieden. Die Ausführungen des Klägers sind
deshalb unzulässig.

Richter: Dr. Eisenhofer, haben Sie doch Geduld und warten Sie die
Ausführungen des Sachverständigen ab.

Zuschauer unter sich: Wenn das Erdbeben nicht wahr ist, braucht auch die
Auferstehung nicht wahr sein. Und wir Deppen glauben alles, was sie uns
weisgemacht haben.

Richter: Ich bitte um Ruhe. Herr Kläger, fahren Sie fort.

Kläger: Der Evangelist Matthäus behauptet weiter, daß sich die Gräber
geöffnet hätten, während Jesus am Kreuz hing, und daß viele Tote auferweckt
wurden. Erst nach der Auferstehung Jesu hätten diese Toten dann ihre Gräber
verlassen und wären vielen Einwohnern in Jerusalem erschienen.
Euer Ehren! Es müßte gefragt werden: Was haben denn die am Karfreitag zum
Leben erweckten Toten die ganze Zeit bis zum Ostermorgen in ihren geöffneten
Gräbern getan? Sie sind jedenfalls in der Zwischenzeit nicht irgendwo als
Gespenster herumgegeistert, denn es heißt ausdrücklich, daß sie ihre Gräber
erst nach der Auferstehung Jesu verlassen hätten. Es müßte endlich gefragt
werden: Warum wurden diese Toten damals eigentlich zum Leben erweckt? Welche
Aufgabe hatten sie zu erfüllen? - Was hatten sie den Bewohnern von Jerusalem
zu sagen? - Dafür gibt es nicht einmal den Hauch einer Erklärung. Angenommen
es wäre so gewesen, wie der Evangelist Matthäus schreibt - also drei Stunden
Finsternis im ganzen Land, ein Erdbeben, das die Felsen gespalten hat, und
dann noch die vielen Toten, die den Leuten in Jerusalem erschienen sind - ja,
dann wären alle Menschen über die Kreuzigung Jesu zutiefst erschüttert
gewesen. Der Hohepriester wäre zur Einsicht gekommen, daß er mit der
Kreuzigung Jesu den größten Fehler seines Lebens gemacht hat. Er hätte sich
auf der Stelle zu Jesus bekehrt und Gott im Himmel öffentlich um Vergebung
gebeten. Mehr noch: Alle Israeliten hätten sich auf der Stelle taufen lassen
und wären Christen geworden! Auf keinen Fall wären die ersten Christen
weiterhin so verfolgt worden, wie das tatsächlich der Fall war. Aus diesem
Grund wiederhole ich: Dieser Evangelist hat in seinem Bericht über den Tod
Jesu nicht die Wahrheit gesagt, sondern das Blaue vom Himmel heruntergelogen.

Zuschauer lautstark unter sich: Ja, wenn man das so bedenkt, dann hat der
Pfarrer nicht so Unrecht mit dem, was er sagt. Und reden kann er auch. -
Unser Pfarrer, sein eigener Sachverständiger! - Und kein schlechter!

Richter: Ich bitte um Ruhe. Herr Pfarrer, fahren Sie fort.

Der Kläger: Weiter behauptet der Evangelist Matthäus: Um die neunte Stunde
rief Jesus laut: Eli, Eli, lema sabachtani. Vorsorglich beantrage ich dazu
die Stellungnahme eines Gerichtsmediziners. Er soll darüber Auskunft geben,
ob ein Mensch, der bereits drei Stunden am Kreuz hängt, noch in der Lage ist,
sich mit einer gezielten Frage lautstark bemerkbar zu machen. Es könnte
nämlich durchaus sein, daß ein Gekreuzigter nach drei Stunden
unvorstellbarer Qualen längst das Bewußtsein verloren hat, und daß Jesus
deshalb überhaupt keinen Laut von sich gegeben hat. Euer Ehren! Ich
bezweifle auch, daß Jesus mit dem letzten Atemzug, wie nach getaner Arbeit,
sagen konnte: Es ist vollbracht. - Damit will ich meine Ausführungen beenden.
Vorsichtshalber beantrage ich aber, die Schriftstellen über die Geburt und über
die Auferstehung Jesu einer kritischen Überprüfung unterziehen zu dürfen.

Richter: Ihrem Antrag wird stattgegeben!

RA Dr. Eisenhofer: Einspruch! Euer Ehren. Der Heilige Geist hat den vier
Evangelisten eingegeben, was sie schreiben sollen. Und genau das haben sie
geschrieben. Nichts anderes.

Zuschauer lautstark unter sich: Der Rechtsanwalt hat recht. Die Evangelisten
haben nur niedergeschrieben, was ihnen Gott offenbart hat. So haben wir es
gelernt und so steht es im Katechismus! - Nichts hat ihnen Gott offenbart.
Die Evangelisten haben sich alles viele Jahre später einfach aus den Fingern
gesaugt.

Richter: Ich bitte um Ruhe. Der vereidigte Sachverständige Dr. Waldhauser hat das Wort.

Der Sachverständige: Euer Ehren! Was das Erdbeben betrifft, so beweist das
Fehlen von jeglichen Zerstörungen das Gegenteil. Es hat beim Tode Jesu kein
Erdbeben gegeben. Die kritischen Ausführungen des Pfarrers über die
Begleiterscheinungen beim Tod Jesu sind in Ordnung. Die dreistündige
Finsternis, das gewaltige Erdbeben, das Spalten der Felsen, die Auferweckung
der Toten und ihr Erscheinen bei den Bewohnern von Jerusalem entbehren jeder
historischen Grundlage.

Zuschauer unter sich: Was kann man dann noch glauben? - Nichts, kann ich dir
nur sagen. Denn hier werden Tatsachen rekonstruiert und keine Predigten
gehalten.

Richter: Ruhe, bitte. Herr Sachverständiger, Sie sind dran.

Der Sachverständige: Euer Ehren! In der Bibel lassen sich viele solche
Erfindungen nachweisen, die als Tatsachenberichte geschrieben wurden, aber
doch vollkommen erfunden sind. Ich erinnere nur an die seltsamen, ja
märchenhaften Vorkommnisse auf dem Ölberg. Die Knechte des Hohenpriesters
weichen zurück und stürzen zu Boden, nur weil Jesus seinen Mund auftut und
sagt: 'Ich bin es'. Dann die Geschichte mit dem abgeschlagenen Ohr des
Malchus, das Jesus sofort wieder anwachsen läßt. Nicht zu vergessen die zwölf
Legionen Engel, die Jesus zu Hilfe kommen würden, wenn er es nur wollte.
Diese Einzelheiten sind erfunden. Dem Evangelisten geht es nicht um eine
glaubwürdige Berichterstattung, sondern um eine Christologie, für die er eine Grundlage brauchte.

Zuschauer unter sich: Sie haben Jesus aber doch verhaftet. Das stimmt doch.
Genau! Das konnten sie nur, weil Jesus überhaupt kein Wunder gewirkt hat. Das
wird ja immer schöner! - Ein sauberer Sachverständiger, kann ich nur sagen. -
Sag' nichts gegen diesen Mann. Er ist gar nicht so übel. Was er sagt, leuchtet mir ein. -
Nein, er ist unmöglich!

Richter: Ruhe bitte! Herr Sachverständiger, fahren Sie fort.

Der Sachverständige: Euer Ehren! Ebenso entschieden muß ich aber auch der
Äußerung des Pfarrers widersprechen, die Evangelisten hätten das Blaue vom
Himmel heruntergelogen.

Zuschauer unter sich: Jetzt bekommt der Pfarrer seinen Denkzettel. - Ja,
jetzt wird ihm endlich eingeheizt. Jetzt ist er dran. Der Pfarrer hat
verloren!

Richter: Ich bitte um Ruhe! Herr Sachverständiger, Sie haben das Wort.

Der Sachverständige: Die Behauptung des Pfarrers ist nicht beweisbar. Um
diese Frage endgültig zu klären, müßten die Evangelisten hier und jetzt in
dieser Verhandlung persönlich vernommen werden, was natürlich unmöglich ist.
Auch hier gilt: Im Zweifel für die Angeklagten. Weiter ist zu bedenken, daß keiner
von den Evangelisten als Augen- und Ohrenzeuge in Betracht kommt. Sie waren
alle darauf angewiesen, was sie von anderen gehört haben. Dabei lagen die
Ereignisse bereits über einige Jahrzehnte zurück. Tatsache ist auch, daß in
der Erinnerung und im Weitersagen alles ständig verändert wird. Je öfter
etwas wiederholt wird, desto größer sind die Veränderungen. Manchmal
kommt dabei sogar das glatte Gegenteil heraus. Das ist typisch für jede
mündliche Überlieferung.

Zuschauer unter sich: So schnell kann es gehen. Wenn es einer noch so
ehrlich sagt, ist zum Schluß doch jedes Wort verdreht. Es muß eben alles
geschrieben sein. - Ja, aber nicht erst siebzig Jahre später. Wo kommen wir
hin, wenn man den Evangelisten nicht mehr trauen kann? -- Dafür haben wir
doch die Kirche. - Du Glückspilz! Du hast wohl noch keine schlechten
Erfahrungen gemacht.

Richter: Ich bitte um Ruhe. Der Rechtsanwalt Dr. Oberberger hat das Wort.

RA Dr. Oberberger: Euer Ehren! Die Feststellung meines Mandanten, daß die
Evangelisten das Blaue vom Himmel herunterlügen, ist wohl begründet. Bedenken Sie nur, daß der Tod Jesus seine Anhänger fanatisiert haben könnte. Seine Jünger hatten ja gehofft, daß Jesus in ganz Israel die Königsherrschaft ausrufen würde. Nachdem Jesus dazu nicht mehr in der Lage war, ist durchaus anzunehmen, daß die Jünger Jesu dieses Ziel ohne ihn, also auf eigene Faust, angestrebt haben. Dazu war ihnen natürlich jedes Mittel recht. Auch das Mittel der maßlosen Übertreibung, wie die Behauptung der dreistündigen Finsternis, die Behauptung eines Erdbebens und das Zerspringen der Felsen einwandfrei belegen. Auch die Auferstehung der Toten aus ihren Gräbern und ihr Erscheinen in Jerusalem läßt sich auf diese Weise erklären. Die Jünger wollten eine Kirche Gründen. Um dieses Ziel zu erreichen, war auch damals schon eine gezielte Propaganda unerläßlich. Selbstverständlich auch das, was mein Mandant das Blaue-vom-Himmel-herunterlügen nennt!

RA Dr. Eisenhofer: Einspruch, Euer Ehren! Mein Kollege stützt seine
Ausführungen auf reine Vermutungen. Er spricht einer unerträglichen
Beliebigkeit das Wort. Kein ernstzunehmender Mensch kann solche Aussagen
billigen. Ich beantrage, diese Ausführungen zu streichen.

Richter: Einspruch abgelehnt. Herr Rechtsanwalt, fahren Sie fort.

RA Dr. Oberberger: Aus heutiger Sicht ist deshalb gegen die Aussage meines
Mandanten nichts einzuwenden. Ich betone noch einmal: Aus heutiger Sicht! Es ist nämlich nicht einzusehen, daß nur die damalige Sichtweise berücksichtigt werden soll, die heutige aber nicht. Nach zweitausend Jahren wird alles ganz anders beurteilt als damals. Es gibt keine Nähe zu Menschen mehr, die sagen könnten, sie hätten dieses oder jenes noch mit eigenen Augen gesehen. Wir fallen nicht mehr auf die bloßen Aussagen anderer herein. Die enge persönliche Beziehung zu ihren Informanten hat damals jede kritische Betrachtungsweise verhindert. Heute wissen wir, daß sich auch die
glaubwürdigsten Informanten irren können. Ihre Glaubwürdigkeit allein ist
deshalb noch lange kein Beweis für die Tatsächlichkeit ihrer Aussagen. Aus
heutiger Sicht - und nur aus dieser! - ist die Aussage: Die Evangelisten
lügen das Blaue vom Himmel herunter durchaus zulässig. Ebenso wichtig erachte ich auch die Motive, die meinen Mandanten zu dieser umstrittenen Äußerung veranlaßt haben. Erlauben Sie, daß ich kurz darauf eingehe.

RA Dr. Eisenhofer: Einspruch! Euer Ehren! Die Motive sind allgemein bekannt.
Es war reine Böswilligkeit! Höllische Schadenfreude am Niedergang der
Marianischen Männerkongregation. Der Kläger braucht den Presserummel. Er ist süchtig nach immer neuen Schlagzeilen, wie andere nach ihrem Joint. Aus
diesen niedrigen Beweggründen hat der Kläger gehandelt. Alle weiteren
Ausführungen zu den Motiven des Klägers sind daher überflüssig.

Zuschauer unter sich: Donnerwetter! Jetzt geht 's aber wild auf. Er läßt ja
kein gutes Haar am Pfarrer. - Der Eisenhofer übertreibt. Er kennt den Pfarrer doch gar nicht. - Es paßt aber alles zusammen. Vielleicht stimmt es doch.

Der Kläger: Euer Ehren! Diese Ungeheuerlichkeiten kann ich keine Minute
länger auf mir sitzen lassen. Gestatten Sie eine kurze Stellungnahme. Nicht
meine Böswilligkeit noch irgendwelche Rachegelüste oder gar eine geheime
Schadenfreude haben mich daran gehindert, die Klage zurückzunehmen. Nein! Mir geht es einzig und allein um den Ursprung der Heiligen Schrift. Also um die alles entscheidende Frage: Ist die Heilige Schrift tatsächlich das Wort des lebendigen Gottes, oder ist sie nur reines Menschenwort? Diese Frage hat
nichts mit angeblicher Gotteslästerung und auch nichts mit der Verletzung
religiöser Gefühle zu tun.

RA Dr. Eisenhofer: Einspruch, Euer Ehren. Kein Mensch hat das Recht, die
unfehlbare Lehre der Kirche in Frage zu stellen.

Richter: Der Kläger hat das Wort.

Kläger: Euer Ehren! Der Volksmund sagt: Liebe macht blind. Ich gehe noch
einen Schritt weiter und behaupte: Auch die Einbildung macht blind. Der
Angeklagte lebt in einem Gemüts- und Seelenzustand, der am ehesten mit dem
Zustand eines über beide Ohren verliebten Menschen verglichen werden könnte.
Wie für einen Verliebten nur noch die Geliebte zählt, und sonst absolut
nichts und niemand, so zählt für den Angeklagten nur seine religiöse
Einbildung.

RA Dr. Oberberger: Euer Ehren! Die strittige Bemerkung meines Mandanten war
in der Tat aus seelsorglichen Gründen nicht nur geboten, sondern sogar
notwendig. Die furchterregende Predigt bei der Beerdigung des Bürgermeisters
hatte ihn dazu veranlaßt. Er konnte jene Grabpredigt nicht widerspruchslos
hinnehmen, wo es hieß: 'Wenn der Menschensohn kommt auf den Wolken des
Himmels und sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzt, dann wird Gericht
gehalten über Lebende und Tote.' Dabei hatte jener Prediger auch auf das
Schicksal jenes Knechtes hingewiesen, der von seinem Herrn nur ein einziges
Talent bekommen hatte, und dann hören mußte: Nehmt ihm das eine Talent und
gebt es dem, der die zehn Talente hat. Euer Ehren! In jener Predigt wurde die Trauerversammlung erinnert, daß dieser Mensch hinausgeworfen wurde in die äußerste Finsternis, dorthin, wo Heulen und Zähneknirschen ist. Diese Grabpredigt war eine einzige Angstmache. Von Hoffnung auf göttliches Erbarmen und Vergebung keine Spur. Das war der Grund für den Hinweis meines Mandanten: Man braucht nicht alles glauben, was gepredigt wird, weil die Evangelisten das Blaue vom Himmel herunterlügen. Mein Mandant wollte damit nur den Schaden wieder gutmachen, den die Predigt bei den Zuhörern angerichtet hatte. Mein Mandant war auch bei der Beerdigung
des Bürgermeisters von Egling als Seelsorger tätig. Er hat diese Aufgabe sein ganzes Leben hindurch sehr ernst genommen. Diese rein seelsorglichen
Absichten wurden mir ganz zufällig vor Beginn dieser Verhandlung erneut
bestätigt. Erlauben Sie, daß ich darauf hinweise.

Richter: Herr Kollege! Machen Sie 's kurz.

RA.Dr. Oberberger: Dort draußen vor der Tür hat mir eine Frau folgendes
anvertraut: 'Seit dieser Pfarrer in Linden ist, bin ich meines Lebens wieder froh. Bis dahin war ich eine unglückliche Frau. Ich wußte oftmals weder ein noch aus. Er hat mir wirklich geholfen. Alle andern Hochwürdigen Herrn haben mich nur verurteilt.' Euer Ehren! Lassen Sie mich auch sagen, worum es ging. Die Frau erzählte: 'Mein Sohn hat seine Freundin wiederholt ins Haus gebracht und mit ihr die Nacht verbracht, so oft er eben wollte.' Die Frau fühlte sich verantwortlich für das Tun ihres Sohnes. Sie beichtete dieses angebliche Versagen als persönliche Mitschuld. Sie mußte in der Beichte versprechen, dieses angeblich sündhafte Treiben ihres erwachsenen Sohnes zu unterbinden. Die langjährige Witwe war somit vor die Entscheidung gestellt, Gott oder ihren einzigen Sohn zu verlieren. In dieser ausweglosen Lage hat ihr mein Mandant geholfen. Und das bereits vor dreißig Jahren! Aus pastoralen Gründen hat mein Mandant auch nach der Beerdigung seine strittige Bemerkung gemacht.

Zuschauer unter sich: Das ist viel zu schön, um wahr zu sein. Der
Rechtsanwalt hat es erstunken und erlogen. Ja, so wird es gewesen sein.
Erfunden hat er es, dieser Rechtsverdreher! Dem glaub' ich kein Wort. - Was!
Das darf doch nicht wahr sein! - Hört, was sie sagt: Sie, die Klara, hätte es dem Rechtsanwalt erzählt. - Wer? - Ich! Ja, ich! Damit ihr es wißt: Ich habe es dem Rechtsanwalt vor der Verhandlung erzählt. Das war alles genau so, wie er es erzählt hat. Ob es euch paßt oder nicht.

Richter: Ich bitte um Ruhe. Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der
Angeklagte hat ein Schmerzensgeld in Höhe von fünfhundert Mark an eine
wohltätige Einrichtung zu zahlen. Er trägt die Kosten des Verfahrens. Die
Sitzung ist geschlossen.

RA Eisenhofer: Herr Steinhuber! Wir gehen in die Berufung. Es wäre nicht das
erste Mal, daß ein Urteil aufgehoben wurde.

Einige Zuschauer unter sich: Ein Schandurteil! Der Mann hat einen guten
Ausgang verdient. Und einen besseren Sachverständigen dazu. - Schlimm, kann
ich nur sagen. - Eine Pfarrversammlung muß her. Dann werden wir beschließen,
daß der Pfarrer weg muß. - So ist es. Dazu brauchen wir keinen einzigen von
solchen gottlosen Richtern. - Nein! Das schaffen wir selber. Dann hauen wir
den Pfarrer zum Teufel! -- Und noch etwas: Gott sei Dank sind bald die
Landtagswahlen. Dann kann nichts mehr schiefgehen. Sollten wir vor dem
Gericht tatsächlich endgültig verlieren, dann wird uns der Ministerpräsident
helfen. - Ja, der Ministerpräsident ist ein Christ, der noch zu seinem
Glauben steht. -- Mal' jetzt nur nicht den Teufel an die Wand! - Nein, ich
möchte nur sagen: Wenn es so weit kommen sollte, dann müssen wir unseren
Ministerpräsidenten bestürmen. Er hat dafür gesorgt, daß unsere Biergärten
offen bleiben. Ihm ist es zu verdanken, daß das Kreuz in jedem Schulzimmer
hängen bleibt. Das war allein sein Verdienst. Er wird sich auch in diesem
Fall ganz klar und eindeutig für das C in unserm Land einsetzen. - Das ist
doch alles Zukunftsmusik. Sorgen wir lieber dafür, daß die Pfarrversammlung
ein voller Erfolg wird.


3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.


Die Pfarrversammlung
Das Berufungsverfahren 
Christine Dipl. Theol. 
Die Austrittserklärung 
Die M-Partei 
Nach der Wahl
Ein Blitz aus heiterem Himmel 
Der letzte Papst 
Ein Leben zu zweit.

1.
2.

Auf dem Amtsgericht 
Die zweite Verhandlung

siehe auch:
eMail

www.kirchenrechte.de,
http://www.regina-berlinghof.de/glas_gegen_wetter.htm/
GlasWilli@aol.com

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Stand: Januar  2001