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Gerichtsdiener: Aufgerufen wird zur Verhandlung: Pfarrer Kammerloher gegen
Steinhuber. Ich bitte die ausgewiesenen Plätze einzunehmen.
Richter: Die Sitzung ist eröffnet. Ich stelle fest: Der Kläger ist anwesend.
Sie heißen Erhard Kammerloher und sind Pfarrer von Linden. Sie sind vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Oberberger. Der Angeklagte ist Ludwig Steinhuber. Sie sind vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Eisenhofer. Verhandelt wird wegen Körperverletzung und Beleidigung. Herr Steinhuber, erzählen Sie, wie es zu dieser Ohrfeige gekommen ist.
Angeklagter: Der Pfarrer hat gesagt: Man braucht nicht alles glauben, was
geschrieben steht, denn die Evangelisten lügen das Blaue vom Himmel herunter. Da habe ich mich nicht mehr halten können.
Richter: Da ist Ihnen also die Hand ausgerutscht. Sie haben den Pfarrer am
Kragen gepackt und ihm ins Gesicht geschlagen.
Angeklagter: Nein.
Richter: Und wann war es dann so weit?
Angeklagter: Das war beim Wirt, nach der großen Beerdigung des Bürgermeisters von Egling. Ich mußte auf diese Beerdigung gehen. Der Bürgermeister von Egling war nämlich ein langjähriges Mitglied der Marianischen Männerkongregation.
Zuschauer unter sich: Die Nachricht von seinem Tod hat mich getroffen wie ein Blitz aus heiteren Himmel. - Dann die große Beerdigung. Die Friedhofsmauer war rund herum voll von den vielen Kränzen. Und erst die vielen Leute! Ein Gedränge, sag' ich, wie bei der Landwirtschaftsausstellung auf dem Oktoberfest.
Richter: Ruhe im Saal! - Angeklagter, fahren Sie fort.
Angeklagter: Ich habe auch eine Rede gehalten und einen schönen Kranz nieder-gelegt an seinem Grab. Hernach bin ich ins Wirtshaus gegangen. Ganz
zufällig bin ich mit dem Pfarrer am gleichen Tisch gesessen.
Richter: Wie ist es an diesem Tisch dann weitergegangen? Erzählen Sie alles
schön der Reihe nach.
Angeklagter: Wir haben über den Verstorbenen geredet. Jeder hat erzählt, was
ihm eingefallen ist. Ich habe an seine Amtseinführung als Bürgermeister
erinnert. Seine Wahl zum Bürgermeister hatte er ganz gewiß dem Beistand der
Gottesmutter zu verdanken, habe ich gesagt. Da hat der Pfarrer gefragt:
'Warum ist sie ihm dann jetzt nicht beigestanden? Der Bürgermeister hätte ihr ganz sicher eine schöne Votivtafel malen lassen. Rettung aus größter Not! Oder: Maria hat geholfen.' Dann wären ganz sicher auch noch die restlichen Männer von Egling der Marianischen Kongregation beigetreten. Ja, so hat der Pfarrer dahergeredet. Ich hab' nichts darauf geantwortet. Aber gekocht hat es in mir.
Richter: Dann sind Sie aufgesprungen und haben auf den Pfarrer eingeschlagen.
Angeklagter: Nein. Ich bin ganz still geblieben. Nur die andern haben
weitergeredet, als ob nichts gewesen wäre. Irgendwann beim Leichenschmaus ist dann die Rede auf den Pfarrer von Egling gekommen. Er hat nämlich die
Grabpredigt gehalten. Und wie schön er gepredigt hat am offenen Grab! Wenn
der Menschensohn kommt auf den Wolken des Himmels, dann wird er sich auf den
Thron seiner Herrlichkeit setzen und Gericht halten über Lebende und Tote. Er wird die Schafe von den Böcken scheiden. So hatte er gepredigt, und alle am Tisch waren tief beeindruckt. Nur der Pfarrer hat ganz unverschämt gelacht. Dann hat er gesagt: 'Das braucht ihr nicht so ernst zu nehmen. Denn die Evangelisten lügen das Blaue vom Himmel herunter.' Ja, das hat er gesagt. Ich hab' mich nicht mehr halten können, bin aufgesprungen und hab' ihn am Kragen gepackt und geschrien: Das nehmen Sie zurück!
Richter: Sie haben sich also nicht mehr zurückhalten können und den Kläger
ins Gesicht geschlagen.
Angeklagter: Nein. Ich hab' gewartet, daß er zurücknimmt, was er gesagt hat.
Er hat aber nichts zurückgenommen. Nein! Ganz ruhig hat er mir ins Gesicht
gesagt: 'Damit Sie 's ganz genau wissen', hat er gesagt: 'Die Evangelisten
lügen das Blaue vom Himmel herunter.' Euer Ehren! Das war eine
Gotteslästerung! Eine furchtbare himmelschreiende Sünde! Und da ist mir die
Hand ausgerutscht. Es war ein Befehl von oben. Ich mußte es tun. Ich habe
gebebt und gezittert am ganzen Leib. Die Leute haben mich angestarrt. Es war
schrecklich. Nicht mehr zum Aushalten. Da hab' ich alles liegen und stehen
lassen und bin gegangen.
Zuschauer unter sich: Und wie er ihn am Krawattl gehabt hat! Dieser Stier
von einem Mannsbild, mit seine Händ', so groß wie ein Abortdeckl! - Daß er
den Pfarrer nicht aus seinem Gewand gehoben hat, das war alles. - Eine
solche Watschn! Seine Brille ist im hohen Bogen davongeflogen. - Nur
deswegen hat er auf dem Bild in der Zeitung keine Brillen auf der Nase. -
Dieser Pfarrer hat ja überhaupt keine Gottesfurcht. - Ein richtiges Fressen
war es für die Zeitung. - Ich hab mir den Artikel eigens herausgeschnitten
und aufgehoben. - Für mich ist es heute noch unfaßbar, wie es der Pfarrer in
aller Ruhe gesagt hat. - Und ich habe seine Worte längst auswendig gelernt.
Wenn ich jetzt einen Pfarrer predigen höre, sage ich mir: Die Predigt
brauchst du nicht so ernst zu nehmen, denn die Evangelisten lügen doch nur
das Blaue vom Himmel herunter. - Damit ist der Pfarrer zu weit gegangen! Die
Watschn hat er verdient. - Das sag ich auch. So darf ein Pfarrer nicht
daherreden.
Richter: Wenn es jetzt nicht sofort ruhig wird, lasse ich den Gerichtssaal
räumen. - Danke. Sie können Platz nehmen. - Der Kläger möge sich erheben. -
Sie sind also der Pfarrer von Linden. Kommen wir zur Sache: Sie sollen
gesagt haben: Diese Predigt braucht man nicht so ernst zu nehmen, denn die
Evangelisten lügen das Blaue vom Himmel herunter. Haben Sie das wirklich
gesagt?
Der Kläger: Ja. Das habe ich gesagt.
RA Dr. Eisenhofer: Euer Ehren! Mit diesem Satz hat der Pfarrer die
Handgreiflichkeit meines Mandanten buchstäblich heraufbeschworen. Er hat
diese bewußt und absichtlich selber verschuldet! Seine Äußerung erfüllt
überdies den Tatbestand der Gotteslästerung. Obendrein hatte der Pfarrer
schon früher immer wieder auf solche Art und Weise die religiösen Gefühle
meines Mandanten verletzt und mit Füßen getreten.
Richter: Diese Körperverletzung hat also eine Vorgeschichte. Was war
geschehen?
Angeklagter: Als Präsident der Marianischen Männerkongregation habe ich in
seiner Pfarrei um Mitglieder geworben. Da hat der Pfarrer gesagt: 'Jeder soll sich selber fragen, ob dieser Verein auch wirklich das Richtige ist für ein gestandenes Mannsbild. Schließlich wäre die Gottesmutter bis jetzt immer nur Frauen und Kindern erschienen, aber noch keinem einzigen Mann.' Ja, das hat der Pfarrer gesagt. Da haben alle im Saal hellauf gelacht. An jenem Abend konnte ich kein einziges neues Mitglied einschreiben. Schuld war nur der Pfarrer.
Zuschauer unter sich: Eine Gotteslästerung darf man nicht durchgehen lassen.
Schon gar nicht beim Pfarrer. -- Aber bedenke doch: Beim Krawattl packen und
dreinhauen ist doch auch nicht das Richtige.
RA Dr. Eisenhofer: Mein Mandant hat die Ehre Gottes verteidigt. Er hat auf
die Stimme von oben gehört, was für jeden anständigen Menschen
selbstverständlich sein sollte. Sein Schweigen hätte überdies als Zustimmung
zu dieser Gotteslästerung aufgefaßt werden müssen. Deshalb war mein Mandant
sogar im Gewissen verpflichtet, auf der Stelle, mit aller Kraft und
Entschiedenheit einzugreifen. Noch dazu als Präsident der Marianischen
Männerkongregation. Der Schlag ins Gesicht war nicht nur gerechtfertigt,
sondern vom Glauben aus sogar notwendig und geboten. Die Klage wegen
Körperverletzung ist deshalb unzulässig. Ich beantrage Freispruch für meinen
Mandanten.
RA Dr. Oberberger: Einspruch! Euer Ehren. Mein Mandant hat niemanden
provoziert. Nach der Beerdigung wurde beim Wirt auch über diese furchtbare
Predigt geredet. Dabei hat er ganz ruhig und ohne böse Absicht seine
persönliche Meinung kundgetan. Das war keine Provokation, sondern eine ganz
normale Meinungsäußerung, die jedem Menschen zusteht. Ich beantrage, den
Vorwurf der mutwilligen Provokation zu streichen.
RA Dr. Eisenhofer: Euer Ehren! Dieser Antrag ist abzulehnen. Der Pfarrer hat
wiederholt in provozierender Weise gesprochen und dabei die religiösen
Gefühle meines Mandanten schwer verletzt. Gestatten Sie, daß ich wenigstens
die größten Provokationen und Beleidigungen erwähne. Der Pfarrer hat
wiederholt gesagt, es wäre völlig einerlei, was einer glaubt. Es wäre nur
wichtig, daß der Glaube keinen Schaden anrichtet. Euer Ehren! Für meinen
Mandanten war diese Äußerung des Pfarrers wie ein Schlag ins Gesicht. Mein
Mandant hat sich diesen Angriff auf den Glauben nicht gefallen lassen. Er hat zurückgeschlagen. Das war nicht nur sein gutes Recht. Es war seine Pflicht.
Zuschauer unter sich: Angefangen hat der Pfarrer. Du weißt ja, wie man in
den Wald hineinruft, so hallt es wider. - Respekt sag' ich. Wo kommen wir
hin, wenn man sich alles gefallen läßt! - Dieser Rechtsanwalt läßt sich nicht nur gut bezahlen. Er tut auch etwas für sein Geld.
Richter: Herr Rechtsanwalt fahren Sie fort.
RA Dr. Eisenhofer: Euer Ehren! Der Kläger ist sogar noch viel weiter
gegangen. Er hat gesagt, die verschiedenen Religionen wären nur
unterschiedliche Formen der Einbildung und Selbsttäuschung. Mit Gott hätten
die Religionen nichts zu tun.
Richter: Herr Pfarrer, was sagen Sie zu diesen Vorwürfen der Verteidigung?
Der Pfarrer: Euer Ehren! Beim Leichenschmaus ging es nur um die Predigt am
offenen Grab. Unter dem Eindruck dieser fürchterlichen Drohpredigt bei der
Beerdigung des Bürgermeisters habe ich im Wirtshaus ganz vorsichtig
angedeutet, daß nicht alles wahr ist, was da so gepredigt wird. Ich hatte
gehofft, daß es zu einem vernünftigen Gespräch kommen würde. Vielleicht hätte ich dann den angerichteten Schaden wieder gutmachen können, den der Pfarrer von Egling mit seiner Angst- und Drohpredigt angerichtet hatte. Euer Ehren! Ich kann nicht schweigen, wenn solche Ängste erzeugt werden und diese dann sogar noch als die ewige Wahrheit Gottes ausgegeben werden. Als ein
Seelsorger, der seine Sache ernst nimmt, mußte ich zu dieser Predigt einfach
Stellung nehmen. Den Vorwurf der Provokation und der Beleidigung muß ich
deshalb mit aller Entschiedenheit zurückweisen.
Richter: Herr Pfarrer, Sie geben also zu, diese Äußerungen gemacht zu haben.
Ebenso steht fest, daß sich der Angeklagte tatsächlich von Ihnen provoziert
und beleidigt fühlte, auch wenn Sie dies in keiner Weise beabsichtigt haben.
Ein Vergleich wäre unter diesen Umständen wohl das Beste. Ich schlage vor:
Der Angeklagte entschuldigt sich in aller Form für seine Handgreiflichkeit.
Im Gegenzug bedauern Sie Ihre unglückliche Äußerung, die zu diesem Vorfall
geführt hat.
Der Pfarrer: Euer Ehren! Was ich gesagt habe, war keine unglückliche
Äußerung, wie Sie meinen, sondern eine notwendige Feststellung. Ein Vergleich kommt deshalb nicht in Frage. Ich beantrage, den Wahrheitsbeweis für meine Behauptung antreten zu dürfen.
RA Dr. Eisenhofer: Euer Ehren. Im Gegenzug beantrage ich die Zulassung eines
theologischen Sachverständigen.
Zuschauer unter sich: Jetzt wird es interessant. - Und teuer! - So einen
Sach-verständigen hat schon mancher mit seinem Hab und Gut bezahlt. -- Ach,
was soll diese ganze Gerichtverhandlung? Ich scheiß auf das Gericht! Wir
brauchen eine Pfarrversammlung. Diese Sache muß geklärt werden. Und zwar von uns. - Ja, von uns selbst! Wir alle sind schließlich die Betroffenen.
Richter: Ich bitte um Ruhe! - Ein Sachverständiger ist zugelassen. Der
Termin für die nächste Verhandlung wird bekanntgegeben. Die Verhandlung ist
geschlossen.
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