Ketzerblätter

Hier werden literarische und nichtliterarische Texte veröffentlicht, die sich kritisch mit Unterdrückung, Menschenrechtsmißachtung und Verfolgung aus religiösen, politischen, philosophischen oder sonstigen Gründen auseinandersetzen

 

 

 

 

Willi Glas,

zwangpensionierter katholischer Priester und Schriftsteller:

Ein christliches Begräbnis.
Ein Volksstück, Ludwig Thoma nachempfunden

Thema: Aufstand in Bayern oder das Ende der C-Parteien
 

Mitwirkende:

Kläger: Erhard Kammerloher, Pfarrer von Linden
Sein Rechtsanwalt: Dr. Oberberger 
Angeklagter: Ludwig Steinhuber, 
Präsident der marianischen Männerkongregation 
Sein Rechtsanwalt : Dr. Eisenhofer 
Richter: Dr. Königbauer 
Gerichtsdiener : Josef Messerer 
Sachverständiger: Dr. Waldhauser
Zuschauer : Einwohner aus Egling und Umgebung
Kirchenpfleger: Michael Mayerhofer
Diplom Theologin Christine Summerer
Stammtisch: Wirt und Stammgäste
Journalistin: Lebensgefährtin des Pfarrers 

 

7.

Die M-Partei

 


Der Wirt: Ich kann diese Plakate nicht mehr sehen. Überall ist zu lesen: M eißt modern. Wählt die M-Partei! Jetzt hat sie wieder für große Aufregung gesorgt.

1. Stammgast: Ich kann nur sagen: Diese Opposition ist unverschämt. Jetzt will die M-Partei sogar wissen, ob die Regierungspartei nach dieser verlorenen Gerichtsverhandlung das große C weiterhin in ihrem Namen haben
will!

2. Stammgast: Wo kommen wir hin, wenn eine Opposition ihre Nase in alles hineinstecken darf? Sie hat überhaupt keinen Respekt vor der Regierung. Sie will unter allen Umständen modern sein. Ich würde sie einfach verbieten. Sie hat es nicht anders verdient.

Wirt: Ich kann nur sagen: Die Opposition soll sich um ihren eigenen Scheiß kümmern. Unsere Regierung ist nun einmal christlich und dabei muß es bleiben.

1. Stammgast: So ist es. Eher verzichtet der Wirt auf das Bier, als die Regierung auf das C.

3. Stammgast: So einfach ist das nicht. Der Pfarrer hat die Verhandlung gewonnen. In der Berufung wurde das Urteil sogar noch bestätigt. Wer hätte das für möglich gehalten. Seither darf jeder sagen: 'Der Glaube beruht auf
Einbildung und Selbsttäuschung.' Ein christlicher Ministerpräsident mußte dazu Stellung nehmen. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Er konnte nicht so tun, als wäre nichts gewesen.

1. Stammgast: Schuld sind die Zeitungsschreiber. Je größer der Schmarrn, desto mehr schreiben sie darüber. Eine reine Stimmungsmache. Sie hetzen nur das Volk auf. So erhöhen sie ihre Auflage und verdienen dabei noch gutes
Geld.

3. Stammgast: Die Zeitungen haben nur berichtet, was geschehen ist. Dazu sind sie da. Es ist ihr Geschäft. Die Leute lesen ihre Artikel. Sie müssen nicht. Sie sind aber ganz wild darauf. Das öffentliche Interesse ist geweckt. Die Regierung hat jetzt darauf antworten müssen. Es ist ihr nichts anderes übrig geblieben. Die Opposition hat sie dazu gezwungen. So ist es nun einmal in einer Demokratie.

Wirt: Der Ministerpräsident hat sich nicht lumpen lassen. Er hat ganz klar Stellung bezogen und gesagt: 'Als Vorsitzender der großen C-Partei bekenne ich mich zum Christentum, wie es unsere Vorfahren getan haben.' Und dann hat er ebenso klar festgestellt: 'Unser Glaube kann kein Irrtum sein.' Deutlicher hätte er es nicht mehr sagen können. Jetzt wissen alle, wie sie dran sind.

1. Stammgast: Damit hat er den Richtern eins ausgewischt. Sie wissen jetzt, daß sie nur Mist gebaut haben. Die Religion lebt eben nicht von Einbildung und Selbsttäuschung. Auch diesen Vorwurf hat er mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen. Mehr kann ein Ministerpräsident nicht tun. Damit ist die Sache erledigt.

3. Stammgast: Das Gegenteil ist der Fall. Jetzt geht es erst richtig los. Lies doch, was in der Zeitung steht: Ministerpräsident widerspricht dem hohen Gericht. Er übergeht das Gutachten von vereidigten Sachverständigen.
Die Opposition sieht ihre Stunde gekommen. Sie will wissen, mit welchem Recht er sich über das Gericht und die Gut-achter hinwegsetzt.

1. Stammgast: Nichts ist einfacher als das. Er hat ihnen doch bereits geantwortet: 'Was für die Vorfahren richtig war, kann für uns nicht falsch sein.' - Basta.

3. Stammgast: Glaub' mir: Es hat sich schon manches als falsch erwiesen, wovon unsere Vorfahren felsenfest überzeugt waren.

Wirt: Das ist doch jetzt nicht mehr der Rede wert. Alles nur Lappalien, oder irgendwelche Haarspaltereien.

3. Stammgast: Wirt! So kannst Du nicht daherreden. Du bist nämlich auch nur der Vorsitzende dieses Ortsverbandes, weil ein alter Irrtum unserer Vorfahren endlich überwunden ist.

Wirt: Und was soll das für ein Irrtum gewesen sein?

3. Stammgast: Die Monarchie. Die Alten waren nämlich fest überzeugt, daß der König von Gott eingesetzt wird. Das war keine Lappalie, auch keine Haarspalterei, sondern ein gewaltiger Irrtum. Wenn dieser Irrtum noch gelten
würde, gäbe es heute keine Demokratie, damit auch keine C-Partei und keinen Ortsverband, und du wärst nicht sein Vorsitzender. Es kann also etwas durchaus falsch sein, was unsere Vorfahren noch für richtig gehalten haben.

2. Stammgast: An diesem Irrtum waren höchst wahrscheinlich die Pfarrer schuld. Und unsere Vorfahren sind ihnen auf den Leim gegangen. Das ist längst anders geworden. Keiner glaubt heute noch, daß ein König von Gott bestellt ist.

3. Stammgast: Und jetzt stellt sich die Bibel als Irrtum heraus. Sie kommt so wenig von Gott wie das Königtum.

Wirt: Das Christentum ist kein Irrtum. Ich sage Dir: Es kann kein Irrtum sein. Unser Ministerpräsident hat es gesagt.

1. Stammgast: Und woher weiß es der Ministerpräsident, wenn ich fragen darf?

Wirt: Du mit Deiner blöden Fragerei. Er weiß es eben. Er ist schließlich der Minister-präsident. Für eine C-Partei gibt es diese Frage nicht. Wir haben doch wahrhaftig viel Wichtigeres zu tun, als unnötigen Fragen nachzugehen.

3. Stammgast: Wer entscheidet denn in der C-Partei, welche Fragen wichtig, unwich-tig, überflüssig oder gar blöd sind?

Wirt: Das steht im Anzeiger. Im Zweifelsfall kann ich in der Parteizentrale anrufen. Dort bekomme ich immer bestens Bescheid.

1. Stammgast: Ich frage mich nur, ob es überhaupt sinnlose Fragen gibt. Könnte es nicht sein, daß manche Fragen nur für sinnlos gehalten werden?

Wirt: Was ist, wenn der Mond aus Käse wäre? Das ist so eine sinnlose Frage. Darüber kann man nur lachen. Wer sie ernst nimmt, ist selber schuld.

3. Stammgast: Man kann darüber lachen, so viel man will. Dann kann man aber auch weiterfragen: Woher kommt der Käse? Oder noch besser: Aus was besteht der Mond wirklich? Warum fahren wir nicht einfach hinauf und finden es heraus?

Wirt: Du meinst also: Es gibt keine sinnlosen Fragen.

3. Stammgast: Genau! Die vielen Fragen berühren uns nur verschieden stark. Die einen mehr, die andern weniger und manche überhaupt nicht. Das kann sich aber jederzeit ändern. Plötzlich kann eine angeblich blöde Frage sehr wichtig werden.

2. Stammgast: Fragen wir uns also: Warum kann das Christentum kein Irrtum sein? Mich interessiert das, obwohl ich selber niemals auf diese Frage gekommen wäre. Es gab sie nicht. Jetzt ist sie da. Ich möchte es wissen.

Wirt: Der Ministerpräsident hat diese Frage bereits beantwortet. Er hat klar und deutlich festgestellt: 'Das Christentum kann kein Irrtum sein.' Er muß es wissen. Er ist der Ministerpräsident.

3. Stammgast: Nichts gegen den Ministerpräsident! Aber woher weiß er, was wir nicht wissen? - Oder sagt er nur, was seine Anhänger gerne hören wollen?

1. Stammgast: Da kannst du Recht haben. Seine Wähler wollen es hören. Deshalb sagt er es.

2. Stammgast: Diese Erklärung ist mir zu einfach, um wahr zu sein. Vielleicht weiß er es vom Erzbischof.

3. Stammgast: Und woher weiß der Erzbischof, daß das Christentum kein Irrtum sein kann?

Wirt: Der Erzbischof kann nicht anders. Er muß das sagen, weil er der Erzbischof ist.

1. Stammgast: Vielleicht stimmt ihm der Ministerpräsident nur zu, weil er sein Freund sein will.

Wirt: Das könnte natürlich auch der Fall sein. Eine Hand wäscht die andere. Hilfst du mir, so helf ich dir.

2. Stammgast: Tatsache ist: Alle Großkopferten halten zusammen durch dick und dünn. Sie sagen sich: Gemeinsam sind wir stark.

3. Stammgast: Also keiner weiß etwas. Sie behaupten es nur, weil es das Volk gerne hört. Oder gibt es eine bessere Erklärung?

1. Stammgast: Sie machen uns etwas vor. Sie tun nur so, als wüßten sie mehr als wir.

Wirt: Sie wollen das Volk zufrieden stellen. Das ist die Hauptsache. Es haben doch alle aufgeatmet, als der Ministerpräsident gesagt hat, daß das Christentum kein Irrtum sein kann. Damit hat er seine Aufgabe als Landesvater erfüllt.

3. Stammgast: Nicht bei allen! Bei sehr vielen ist er ins Fettnäpfchen getreten. Es gab Verwunderung und helle Empörung. Die Opposition hat diese Gelegenheit benützt und den Ministerpräsident gefragt, woher er denn weiß,
daß das Christentum kein Irrtum sein kann. Sie verlangt jetzt eine Antwort. Ich bin gespannt darauf.

Wirt: Der Ministerpräsident wird sich auf den Erzbischof berufen.

2. Stammgast: Wenn er das tut, macht er sich zum Oberministrant des Erzbischofs. Ich würde ihm raten, es nicht zu tun. Er hätte sich doch auch rein sachlich verhalten können.

Wirt: Und wie hätte das ausgesehen?

2. Stammgast: Er hätte sagen können: 'Das Gerichtsurteil trifft den Lebensnerv unseres althergebrachten Väterglaubens. Die C-Partei wird sich dieser neuen Her-ausforderung in aller Sachlichkeit stellen.' Ja, so hätte
er sagen können.

3. Stammgast: Weil der Ministerpräsident aber gesagt hat: Das Christentum kann kein Irrtum sein, hat er sich unnötig festgelegt. Jetzt muß er bei seiner Behauptung bleiben, wenn er glaubwürdig bleiben will.

1. Stammgast: Es steht also Aussage gegen Aussage. Der Pfarrer behauptet: Die Religion beruht auf Einbildung und Selbsttäuschung und der Ministerpräsident: Das Christentum kann kein Irrtum sein. Wer hat nun Recht?

2. Stammgast: Die Wähler werden entscheiden. Über mangelndes Interesse an dieser Wahl kann man wahrlich nicht klagen. Überall reden sie sich die Köpfe heiß.

Wirt: Schuld ist der Pfarrer. Er trägt die Verantwortung. Er hat von Einbildung und Selbsttäuschung geredet. So etwas tut man nicht. Er muß es widerrufen, dann ist wieder alles in Ordnung.

2. Stammgast: Nichts ist in Ordnung! Diese Behauptung muß widerlegt werden. Die Beweislast liegt nicht beim Ministerpräsident, sondern zu allererst beim Erzbischof. Er muß dazu Stellung nehmen.

Wirt: Der Pfarrer hat angefangen. Er hat A gesagt, jetzt muß er auch B sagen.

3. Stammgast: Das hat er doch getan. Denk doch an die Gerichtsverhandlung. Da hat der Pfarrer sogar das hohe Gericht überzeugen können, daß die Evangelisten nicht die Wahrheit sagen.

1. Stammgast: Unterm Strich ist dabei herausgekommen, daß das Christentum tatsächlich nur auf Einbildung und Selbsttäuschung aufgebaut ist.

Wirt: Und die Opposition macht daraus gleich eine Staatsaffäre. Diese Anfrage an den Ministerpräsident hätten sie sich ersparen können. Noch schlimmer sind die zwei Sachverständigen. Sie haben doch nur Scheiß gebaut. Sachverständige! Wenn ich das schon höre. Sie reden alle nur sehr gescheit daher, haben aber von Tuten und Blasen keine Ahnung.

1. Stammgast: Das will ich überhört haben. Ich selber bin vereidigter Sachver-ständiger für Schadensregulierung. Ich weiß, wovon ich rede. Daß ich von Tuten und Blasen keine Ahnung habe, ist eine glatte Beleidigung.

Wir: Ich meine doch nicht dich, sondern nur die Sachverständigen bei der letzten Verhandlung.

1. Stammgast: Diese Leute sind vom Fach, jeder Einzelne hochqualifiziert. Andere Leute haben auf diesem Gebiet leider nicht die geringste Ahnung, deshalb sollten sie den Mund halten.

2. Stammgast: Es könnte doch sein, daß diese Herrn alle unter einer Decke stecken. Sonst hätten sie dem Pfarrer doch längst gezeigt, wo der Bartl den Most holt.

Wirt: Mein Gefühl sagt mir: Das Gericht hat versagt. Die Richter hätten verhindern müssen, daß der Karren in den Graben läuft.

1. Stammgast: Der Karren steckt nicht im Graben. Wir bilden uns nur ein, daß Richter und Sachverständige versagt haben. In Wirklichkeit haben sie gute Arbeit geleistet.

2. Stammgast: Schade, daß die Richter und die beiden Sachverständigen nicht da sind. Sie würden dir ordentlich einheizen. Die Behauptung, daß sie vom Tuten und Blasen keine Ahnung hätten, müßtest du auf der Stelle
zurücknehmen. Oder du beweist ihnen, daß sie wirklich Scheiß gebaut haben.

Wirt: Selbst wenn ich ihnen den Scheiß beweisen könnte, würde ich mich nicht mit ihnen anlegen. Ich halte mich lieber an die Anweisung von oben.

1. Stammgast: Du kannst von einem großen Glück reden, daß dir diese peinliche Auseinandersetzung von höchster Stelle abgenommen worden ist. Wer weiß, wie sie für dich ausgegangen wäre.

2. Stammgast: Seltsam, daß jetzt auf einmal nur noch der Ausspruch des Ministerpräsidenten zählt: 'Das Christentum kann kein Irrtum sein.' Als ob es nicht viele andere Sachen gäbe. Innen- und Außenpolitik sind plötzlich uninteressant. Umweltschutz und Tempolimit sind jetzt auch kein Thema mehr. Wie hart wurde doch darüber bis vor kurzem noch gestritten.

3. Stammgast: Regierung und Opposition liegen nirgends so weit auseinander, wie im Streit über das Christentum. Für die C-Partei stammt es von Gott. Die M-Partei beruft sich auf das Gericht: Alles nur Einbildung und
Selbsttäuschung. Klarer könnten die Gegensätze nicht sein. Die Wähler müssen entscheiden.

2. Stammgast: Am nächsten Sonntag wissen wir mehr.


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Nach der Wahl
Ein Blitz aus heiterem Himmel 
Der letzte Papst 
Ein Leben zu zweit.

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7.

Auf dem Amtsgericht 
Die zweite Verhandlung
Die Pfarrversammlung
Das Berufungsverfahren 
Christine Dipl. Theol. 
Die Austrittserklärung 
Die M-Partei 

siehe auch:
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www.kirchenrechte.de,
http://www.regina-berlinghof.de/glas_gegen_wetter.htm/
GlasWilli@aol.com

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Stand: Januar  2001