Ketzerblätter

Hier werden literarische und nichtliterarische Texte veröffentlicht, die sich kritisch mit Unterdrückung, Menschenrechtsmißachtung und Verfolgung aus religiösen, politischen, philosophischen oder sonstigen Gründen auseinandersetzen

 

 

 

 

Willi Glas,

zwangpensionierter katholischer Priester und Schriftsteller:

Ein christliches Begräbnis.
Ein Volksstück, Ludwig Thoma nachempfunden

Thema: Aufstand in Bayern oder das Ende der C-Parteien
 

Mitwirkende:

Kläger: Erhard Kammerloher, Pfarrer von Linden
Sein Rechtsanwalt: Dr. Oberberger 
Angeklagter: Ludwig Steinhuber, 
Präsident der marianischen Männerkongregation 
Sein Rechtsanwalt : Dr. Eisenhofer 
Richter: Dr. Königbauer 
Gerichtsdiener : Josef Messerer 
Sachverständiger: Dr. Waldhauser
Zuschauer : Einwohner aus Egling und Umgebung
Kirchenpfleger: Michael Mayerhofer
Diplom Theologin Christine Summerer
Stammtisch: Wirt und Stammgäste
Journalistin: Lebensgefährtin des Pfarrers 

 

6.

Die Austrittserklärung

 


Einer: Da gibt es nur eines: Den Kirchenaustritt.

Eine Frau: Du redest dich leicht. Meine Tochter steht vor der Erstkommunion. Sie träumt schon von einem langen weißen Kleid und von einem Kränzchen im Haar.

Eine andere: Wir dürfen unsere Kinder nicht enttäuschen. Sie würden uns das nie verzeihen.

Ein Mann: Nur keine Ausreden. Wichtige Entscheidungen werden meistens ohne jede Rücksicht auf die Kinder gefällt. Sie werden vor vollendete Tatsachen gestellt. Bestes Beispiel sind die vielen Ehescheidungen.

Ein anderer: Stimmt. Auch alte Freundschaften gehen plötzlich auseinander. Ge-schäftspartner trennen sich von heute auf morgen. Arbeitskollegen gehen sich aus dem Weg. Die besten Nachbarn werden zu erbitterten Feinden. Ganz gleich, ob es den Kindern paßt oder nicht.

Einer: Wenn es um das Erbe geht, verfeinden sich sogar die Geschwister. DieKinder werden von ihren Onkeln und Tanten ferngehalten. Niemand fragt sie, ob es ihnen recht ist.

Eine Frau: Stimmt. Bei wirklich notwendigen Entscheidungen sind die Kinder kein Hindernis. In meinem Fall sind sie sogar die engsten Verbündeten gewesen. Sie haben sich auf meine Seite gestellt, mich unterstützt und meine
Entscheidung mitgetragen.

Einer: Es hängt eben alles davon ab, ob wir den Kindern klarmachen können, daß Jesus nicht in der kleinen Hostie ist.
Eine Frau: Kindern muß man nur erlären, daß es nicht wahr sein kann, wenn es heißt: Mein Leib ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank. Es ist mir unbegreiflich, daß ich so etwas allen Ernstes einmal
glauben konnte.

Einer: So unbegreiflich ist das nicht. Es haben doch alle um uns herum zusammen-geholfen: Die Eltern, die Großeltern, alle Onkeln und Tanten, unsere Lehrer, und vor allem der Pfarrer. Wir konnten gar nicht aus. Wenn wir uns jetzt zusammentun, werden wir die Kinder überzeugen können, daß das Gerede von Jesus in der Hostie eine reine Einbildung und Selbsttäuschung ist.

Eine Frau: Seltsam, wenn ich bedenke: Vor einem Jahr gehörte ich noch zum Kreis der Kommunionmütter, und jetzt soll ich die Kinder vor diesem Tag bewahren.

Ein Mann: Am besten und einfachsten geht das mit der Austrittserklärung. Es muß eine klare Trennung her. Ein echter Bruch mit der Kirche. Erst dann ist dieses Problem wirklich gelöst.

Eine Frau: Das erfordert großen Mut. Obendrein ist dann noch nicht gesagt, ob dieser Schritt auch richtig war. Die Kirche tut schließlich auch viel Gutes.


Ein Mann: Abgesehen vom Guten, das tatsächlich geschieht, lügt die Kirche eben doch das Blaue vom Himmel herunter. Sie behauptet, im Besitz einer echten Botschaft von Gott zu sein, und betrügt damit die Menschen. Wenn sie könnte, würde sie uns auch heute noch zur Annahme dieser Unwahrheiten zwingen. Und das mit aller Gewalt, mit Feuer und Schwert. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Eine Frau: Mir ist, als würde ich etwas Verbotenes denken. Ja, als würde ich etwas im Schilde führen, das sich nicht gehört, und alle würden es mir ansehen.

Einer: Das kommt von deiner frühkindlichen Prägung, wo die Kirche als eine göttliche Institution allen vor Augen gestellt worden ist.

Die Frau: Ich kann mir nicht helfen. Dieser Schritt macht mir Angst.

Der Mann: Man muß nur in alten Aufzeichnungen stöbern, dann verliert man diese Angst. Ich habe erst neulich die Degradation von drei Kaplänen in Wasserburg gele-sen. Mir standen die Haare zu Berge.

Die Frau: Natürlich ist es ein schmerzlicher Verlust, wenn ein Geistlicher degradiert wird, und damit sein Amt mit dem gesicherten Einkommen verliert. Aber das Leben geht weiter.

Der Mann: Eben nicht. Die Betroffenen haben dabei ihr Leben verloren. Die soge-nannte Degradation endete mit der Hinrichtung, weil sie sich öffentlich zu Martin Luther bekannt hatten. Und wer meint ihr, daß diese Hinrichtung durchführen ließ?

Eine Frau: Der Bischof?

Der Mann: Nein! Ein eigens aus Rom angereister päpstlicher Legat! Er zelebrierte jede Folter bis zum letzten Atemzug als einen feierlichen Gottesdienst.

Ein anderer: Du machst mich neugierig. Was ist denn geschehen?

Der Mann: Die drei Kapläne wurden in Ketten aus dem Kerker geholt, wo sie vorher schon mehrmals grausam gefoltert worden waren. Vor dem päpstlichen Delegaten sollten sie nun ihrer Ketzerei abschwören. Dann wären sie frei gekommen. Weil sie sich aber geweigert hatten, wurden ihnen die Messgewänder angezogen und jedem ein Kelch in die Hand gedrückt. Der päpstliche Delegat hatte dann jeden der Reihe nach angespuckt und im Namen der Kirche feierlich verflucht. Dann nahm er ihnen die Wandlungsgewalt über Brot und Wein.

Ein anderer: Eine reine imaginäre Wandlungsgewalt feierlich entziehen! Das kann man doch nicht.

Der Mann: Ein päpstlicher Legat kann das. Er hat sich ein scharfes Messer bringen lassen, und hat den Kaplänen an Daumen und Zeigefinger feierlich die Haut abgezogen. Und schon hatten sie keine Wandlungsgewalt mehr.

Eine Frau: Die Wandlungsgewalt! Wenn es so etwas wirklich geben würde, wäre sie doch nicht an Daumen und Zeigefinger gebunden.

Der Mann: Ebenso einfach hatte er sie dann auch noch aus dem geistlichen Stand entfernt. Er nahm ihnen die Tonsur, indem er ihnen den Kopf vollkommen kahl scheren ließ. Als festlicher Höhepunkt stand dann die feierliche Enthauptung auf dem Programm.

Einer: Mit einer solchen Kirche will ich nichts mehr zu tun haben. Nein, sie kann mir gestohlen sein. Ich trete aus.

Einer: Habt ihr neulich den Radio gehört? Ich meine die Sendung zur 250. Wiederkehr der Vertreibung der Protestanten aus dem Salzburger Land? Diese Sendung ist mir unter die Haut gegangen. Ich habe mich für die Kirche geschämt.

Ein anderer: Was war denn damals los?

Er: Nur weil sie nicht katholisch werden wollten, wurden sie wie das Vieh zusammengetrieben und bei klirrender Kälte an die bayerische Grenze getrieben. Ihre Kinder mußten sie aber zurücklassen. Sie wurden unter den
Katholiken als billige Arbeitskräfte verlost. Ja, wirklich: Verlost! Wenn ich das bedenke, fällt mir der Austritt nicht mehr schwer.

Eine Frau: Da fällt mir die Jungfrau von Orleans ein. Schon als junges Mädchen hatte ich in einer dtv-Ausgabe das Gerichtsprotokoll ihres Prozesses gelesen. Diese junge Frau wurde von der Kirche völlig zu Unrecht als Hexe,
Zauberin, Wahrsagerin und falsche Prophetin angeklagt, verurteilt und schließlich lebendigen Leibes verbrannt. Ich war zu Tränen gerührt. Ich frage mich jetzt, warum ich nicht schon damals aus dieser Kirche ausgetreten bin?

Ein Mann: Dasselbe frag' ich mich auch. Die Jungfrau von Orleans ist ja nicht das einzige Opfer, das der Kirche zur Last gelegt wird. Savonarola ist ein weiteres sehr berühmtes Opfer. Er hatte sich mit Papst Alexander VI.
angelegt. Und das aus gutem Grund, wie wir alle wissen. Auch er hatte das mit dem Leben zu bezahlen. Es ist schon ein seltsames Gefühl, wenn man in Florenz an jener Stelle steht, wo dieser mutige Mann verbrannt worden ist. Ich habe mir damals gedacht: Diese Zeiten sind vorbei.

Ein anderer: Diesen Fehler habe ich auch gemacht. Nichts ist vorbei. Die Kirche ist schuldig. Jetzt nicht so sehr durch ihre Verurteilungen, sondern durch ihr Schweigen. Papst Pius XII. hat geschwiegen, wo er hätte reden
müssen. Es waren ja nur Juden, die er hätte retten können. Und Kardinal Faulhaber hat auch seinen Mund nicht aufge-macht. Nein, er hat zugeschaut, wie Pater Rupert Mayer und viele andere seiner besten Leute ins KZ gekommen sind. Die Geschwister Scholl wären von den Nazis sicherlich nicht ingerichtet worden, wenn er seinen Mund damals aufgemacht hätte. Ich sag' euch: Diese Männer der Kirche wollten den Hitler nicht vergraulen.
Schließlich hatte Hitler gegen den gottlosen Kommunismus gekämpft, vor dem sie mehr Angst hatten, als vor dem Leibhaftigen in der Hölle.

Eine Frau: Am meisten hatten die Frauen zu leiden. Für das Erscheinen des Hexenhammers' hat sich die Kirche bis heute nicht entschuldigt. Sie hat aus vielen Frauen Hexen gemacht, die es mit dem Teufel treiben. Die Kirche hat
unzählige unschuldiger Frauen und Mädchen auf dem Gewissen. Der Inquisitor von Como hatte in einem einzigen Monat 62 angebliche Hexen einäschern lassen. Er ist nur einer von vielen. Die Einstellung der Kirche hat sich seither nicht viel geändert. Ich nenne nur den Pflichtzölibat. Die heimlichen Geliebten der Geistlichen leiden bis heute am meisten darunter.

Eine andere: Und Priesterinnen dürfen wir auch nicht werden. Es genügt, daß wir keine Männer sind, sondern nur Frauen. Früher habe ich immer gedacht: Da kann man nichts machen. Es ist einfach so. Jetzt weiß ich: Da kann man sehr wohl etwas machen. Ich erkläre meinen Austritt. Und nicht nur aus diesem Grund. Nein, Gründe gibt es genügend.

Ein Mann: Ich denke an den Sklavenhandel, der durch die Kirche gebilligt worden ist. Kennt ihr das Buch 'Onkel Toms Hütte' von Harriet Beecher-Stove? Mir war dabei der Appetit gründlich vergangen. Die Christen in Amerika waren damals der Meinung: Die Schwarzen sind keine Menschen, sondern Tiere. Sie bestünden aus Ruß und Scheiße. Man kann sie arbeiten lassen, oder schlachten, ganz nach Belieben.

Ein anderer: Es kann mich zur Weißglut bringen, wenn die Theologen meinen, man dürfte diese Verbrechen nicht mit heutigen Maßstäben messen. Für die Kirche, die angeblich im Besitz der ewigen Wahrheit ist, darf es keine
verschiedenen Maßstäbe geben. Weder alte noch neue, sondern nur die ewig gültigen.

Eine Frau: Diese gibt es nicht. Die Leidtragenden sind jetzt ihre eigenen Angestellten. Angefangen von den Kindergärtnerinnen, über die Krankenschwestern und Pastoral-assistenten bis hin zu den Pfarrern. Sie
müssen alle so tun, als hätte sich Gott tatsäch-lich jemals der Kirche offenbart.

Eine andere: Das ist auch der Grund, warum so viele Pfarrer scheitern. Diese unerträglichen Zustände treiben sie in den Alkohol, machen sie zu Ehebrechern und zu Kinderschändern. Darauf gibt es für mich nur eine Antwort: Den Austritt aus dieser gottverdammten Kirche!

Ein anderer: Der alte Grasbauer wird es auch nicht mehr lange machen. Den hat es schwer erwischt. Ich habe ihn gestern besucht, aber er hat mich nicht mehr erkannt. Da dürfen wir uns bald auf eine Beerdigung einstellen.

Einer: Das wird was werden. Eine Beerdigung ohne Pfarrer. Die Aussegnung war igentlich immer recht feierlich. Besonders der Totenrosenkranz. Da hat alles zusammengepaßt. Das Dämmerlicht in der Kirche, der Kerzenschein von den Altären. Da hat man buchstäblich gefühlt, daß wieder einer gestorben ist.

Sie: Und erst der Gesang. 'Ist Feierabend, das Tagwerk ist vollbracht, geht jeder seiner Heimat zu.' So haben sie gesungen. Da hat man viele schluchzen hören. Damit wird es jetzt vorbei sein.

Einer: Keineswegs. Das kann doch auch in der Leichenhalle gesungen werden. Bei Kerzenschein, wenn es sein soll. Auf das fünzigmalige 'Gegrüßt seist du Maria' kann ich leicht verzichten. Da haben mir die Knie ganz schön weh
getan.

Ein anderer: Mir sind beim Rosenkranz manchmal ganz unheilige Gedanken gekom-men. Von der Empore aus hat man nämlich den besten Blick auf die Weiber-leut.

Eine Frau: Ich bin über das 'Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern' und über das 'Bitt' für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes' nicht hinweggekommen. Da hab' ich mich gefragt: Was muß das für ein Vater im Himmel sein, der sich von seinen eigenen Kindern stundenlang bitten und betteln läßt?

Einer: Da bist du nicht die Einzige. Bei der Totenmesse ist es nicht anders.
Das ständige 'Herr erbarme dich', kann einem ganz schön auf den Wecker gehen. Sonst sagt man immer: 'Mit dem Tod ist alles vorbei.' Aber in der Kirche geht es dann erst richtig los. Die Kirche läßt den Toten keine Ruhe. Da wird so getan, als wären die Verstorbenen in höchsten Nöten, denen man nicht genug helfen kann. Es müssen Messen für sie gelesen werden, je mehr, desto besser.

Sie: Das ist doch alles nur ein Geschäft. Ein gutes obendrein. Ich kann die Leute nicht verstehen, die das alles im Pfarramt anschaffen. Als ob sie den Verstorbenen damit noch einen Dienst erweisen würden.

Er: Jeder hat eben seinen Stolz. Keiner will sich wegen ein paar Merk von andern schief anschauen lassen. Sonst heißt es gleich, man hat für den Verstorbenen nichts übrig.

Einer: Ich zahl' jetzt nur noch ein einziges Mal. Aber nicht für eine Seelenmesse, sondern für meine Austrittserklärung. Dann ist für mich das Kapitel Kirche endgültig abgeschlossen


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Die M-Partei 
Nach der Wahl
Ein Blitz aus heiterem Himmel 
Der letzte Papst 
Ein Leben zu zweit.

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Auf dem Amtsgericht 
Die zweite Verhandlung
Die Pfarrversammlung
Das Berufungsverfahren 
Christine Dipl. Theol. 
Die Austrittserklärung 

siehe auch:
eMail

www.kirchenrechte.de,
http://www.regina-berlinghof.de/glas_gegen_wetter.htm/
GlasWilli@aol.com

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Stand: Januar  2001