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Aus dem Prolog:

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Leseproben

Regina Berlinghof:

Mirjam. Maria Magdalena und Jesus



 

PROLOG 

Meldung der Vereinigten Nachrichtendienste
Jordanien, Amman, 24. April ..., 17.32 Uhr

"Unbestätigten Berichten zufolge wurden in einer Höhle am Ostufer des Toten Meeres Schriftrollen aus frühchristlicher Zeit entdeckt, darunter ein bisher unbekanntes ´Evangelium der Maria Magdalena´."

Die Meldung wurde augenblicklich von allen Tickern und Nachrichtendiensten ausgestrahlt. In Europa, in Nord- und Südamerika und in vielen Ländern Afrikas und Asiens mit überwiegend christlicher Bevölkerung unterbrachen die Rundfunk- und Fernsehsender die laufenden Programme, um über den Fund zu berichten.

*****
Die Abendnachrichten in Europa brachten bereits ausführlichere Informationen. Da alle Sender auf eine einzige Quelle, nämlich den Bericht eines zufällig vor Ort anwesenden Journalisten zurückgreifen mußten, glichen sich die Sendungen, wie es nur Kopien einer einzigen Vorlage tun können:

"Junger Wissenschaftler bricht Mauer des Schweigens 

Einem jungen Archäologen ist es zu verdanken, daß die Welt Kenntnis von dem bisher spektakulärsten archäologischen Fund aller Zeiten erhält. Er übertrifft in seiner Seltenheit und Tragweite noch die Funde der Schriftrollen von Qumran, die Entdeckung des Grabes des Tut-Ench-Amun und die Ausgrabung Trojas! Uns ist ein uraltes Zeugnis geschenkt worden, ein Zeugnis von dem Mann, der die Geschichte der Menschheit wie nur wenige bewegt hat: ein Zeugnis von dem Manne, der für viele Gottes Sohn ist und zu dem Millionen und Millionen heute wie vor zweitausend Jahren ihre Hände zum Gebet erheben. Es ist Jesus Christus, der am Kreuz gestorben und nach drei Tagen wieder auferstanden ist. Denn das Einzigartige und Sensationelle an diesen Rollen ist, daß es sich um unversehrt und vollständig erhaltene Orginalhandschriften handelt, die um 50 n. Chr. verfaßt wurden, also nicht einmal zwanzig Jahre nach Jesu Tod. Damit wären sie älter als das älteste Evangelium des Neuen Testamentes, das Markusevangelium, dessen Entstehungszeit auf 70 n. Chr. geschätzt wird. Aber weder das Markusevangelium noch eines der anderen Evangelien des Neuen Testamentes liegt uns in seiner Urschrift vor. Wir verfügen nur über die Abschriften von Abschriften, die von den Kopisten oft genug noch verändert und mit Ergänzungen versehen worden sind. Erst im vierten Jahrhundert wurden die Evangelien in der uns heute vorliegenden Fassung festgeschrieben und kanonisiert. Und während man sich bei den biblischen Evangelien nicht einmal sicher ist, ob die Evangelisten Markus, Matthäus, Lukas und Johannes wirklich die Verfasser sind und ob sie Jesus selbst noch gekannt haben, stammen die Schriftrollen vom Ostufer des Toten Meeres von Hand einer der engsten Jünger und Vertrauten Jesu: von einer Frau, die uns - zumindest dem Namen nach - von Kindheit an vertraut ist: von Maria Magdalena selbst.

Was wird sie berichten? Was wird sie uns zu sagen haben? 

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Aus dem 
2. Kapitel: Unrein

2. Kapitel: UNREIN

Ich fing an, ernsthaft über Mirjam nachzudenken, als das Unglück mit dem Hund geschah. Es war Schabbatbeginn, und Jehuda und ich waren unterwegs zum Beit HaKnesset, während die Frauen zu Hause das Schabbatmahl vorbereiteten. Jerichos Beit HaKnesset ist ein großes, schönes Gebäude in griechischem Stil. Säulen aus weißem Marmor tragen das Eingangsportal, und auch die Einrichtung im Innern verrät mit jeder Einzelheit den Reichtum der Gemeinde. Als wir uns dem Marktplatz näherten, an dessen Ende das Beit HaKnesset gelegen ist, hörten wir schon von weitem ein ungewohntes, dumpfes Lärmen. Wir fanden den Platz voll von Menschen. Wütend schreiende Juden reckten ihre Fäuste wild und drohend zum Himmel und erinnerten in nichts an die ernsten und würdevollen Männer, die sich sonst leise miteinander murmelnd vor dem Gebetshaus zusammenfinden. Am Vorschabbat war es nicht einmal den Jungen gestattet, herumzutoben oder sich in irgendeiner Weise laut und auffällig zu betragen - und nun schäumten und rasten würdige alte Männer mit weißen Haaren unter ihrem Tallit wie blutgierige Krieger vor der Schlacht.

‘Unrein, unrein’ war alles, was wir aus dem wirren Gebrüll verstehen konnten. Dann aber gelang es Jehuda, ein paar Wortfetzen hier, ein paar Satzbrocken da aufzufangen.
„Ein kleiner römischer Junge hat einen toten Hund in das Beit HaKnesset gebracht“, schrie er mir entsetzt zu. „Wir müssen verhindern, daß sie ihn steinigen, sonst gibt es ein Blutbad!“ „Es ist der Sohn des Stadtkommandanten!“ brüllte einer neben mir mit wutverzerrtem Gesicht. „Jetzt kämpfen sie schon mit Kindern gegen uns, diese Götzenanbeter und Schweinefresser!“ Und aller Haß gegen die Römer richtete sich auf das römische Heidenkind, das gewagt hatte, das Bethaus mit einem Hundekadaver zu entweihen. Ich spürte, wie die allgemeine Empörung auch mich packte, wie das Blut hitzig in meinen Adern pochte und mein Zorn aufloderte. Ich wurde eins mit der aufgewühlten, nach dem Tod des Frevlers brüllenden Menge. Dieser Frevler, auch wenn es noch ein Kind war, mußte sterben. Aber Jehuda hatte recht: Wenn dem Jungen etwas geschah, wäre die Vergeltung der Römer fürchterlich.

„Ich muß Mutter holen“, schrie Jehuda und rannte los. Selbst in dem heiligen Zorn, der jetzt in mir kochte, mußte ich über diesen halberwachsenen Knaben lachen, dem nichts anderes einfiel, als zu seiner Mutter zu laufen. Er war schon genauso verrückt wie Mirjam selbst. Alle römischen Soldaten Jerichos würden das Kind nicht schützen können - was sollte da eine alte zahnlose Frau ausrichten! Ein Heidenkind mit einem toten Hund im Beit HaKnesset, noch dazu am Schabbat! Es war ungeheuerlich! Einer schrie mir die Einzelheiten ins Ohr: Ein scheuendes Pferd hatte den Hund des kleinen Marcellus Cassius getreten und schwer verletzt. Das verschreckte Tier hatte sich durch die geöffneten Tore ins Innere des Beit HaKnesset geflüchtet, und der Junge war ihm nachgerannt und hatte seinen Hund tot in einer Ecke gefunden. Als er sich mit dem Kadaver in den Armen aus dem Gebäude schleichen wollte, war er von einem Diener entdeckt worden. Dessen gellende Entsetzensschreie hatten den Aufruhr verursacht und die vor dem Beit HaKnesset versammelten Menschen in einen nach Blut und Rache brüllenden Haufen verwandelt.

Jehuda kam mit Mirjam im Gefolge zurück. Sie lief an mir vorüber, ohne mich zu sehen. Ihre Miene zeigte Sorge, aber keine Verzweiflung. Im Gegenteil: Sie machte den entschlossenen Eindruck, als könnte und würde sie das drohende Unheil abwenden. Und das Merkwürdige war, daß ich mit einem Mal glaubte, daß es ihr gelingen könnte - aber wie sie es anstellen wollte, überstieg meine Vorstellungskraft. Sie zwängte sich durch die Menschentraube vor dem Portal des Beit HaKnesset, und ich verlor sie aus den Augen. Der Tumult nahm noch zu. Vom Lärm angelockt, strömten Neugierige in Scharen herbei. Kaum hörten sie von der Schändung des Gebetshauses durch einen toten römischen Köter, wurden sie eins mit der tobenden Menge.

„Tod dem Frevler! - Tod dem Frevler!“ Das wilde Wutgeheul hatte sich zu einem dumpf-rhythmischen Chor vereinigt. Jüngere Männer hoben schon Steine auf. Jeden Moment konnte sich der geballte Zorn in Aufruhr und Gewalt entladen.

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aus dem 
16. Kapitel: 
Die Höhle

Das 16. Kapitel ausführlicher

16. Kapitel: Die Höhle

[...]
„Wie ist es gekommen“, fragte ich vorsichtig, „hast du dir zu wenig Ruhe gegönnt? Auf dem ganzen Weg hörte ich von dir, dem Wundermann, dem Maschiach, den der Herr gesandt hat und der Tote auferwecken kann! Man spricht nur von deiner Macht und Stärke - und daß du die Römer vertreiben wirst! Man nennt dich den künftigen König von ganz Jisrael. Und nun finde ich dich - allein, krank und elend! Wie kommt das zusammen?“
„Verstehst du das nicht? Sie wollen nur ihre Wunder haben! Sie wollen einen Helden, einen Maschiach, einen Gottessohn, dem sie folgen und sich hingeben können. Sie wollen den mächtigen Krieger und König, der sie von den Römern befreit und der den Glanz der Könige David und Schlomo wieder zum Strahlen bringt. Das ist alles, was sie von mir sehen und verstehen. Und das, was ich ihnen eigentlich sage und predige, hören sie nicht - nicht einmal meine eigenen Schüler! Es ist, als ob man einem unverständigen Kinde alle Schätze der Welt zu Füßen legt, damit es sich das Kostbarste davon aussuchen kann. Und aus all den Schätzen wählt es sich einen bunten Flitterfetzen und läßt Gold, Silber und Edelsteine gleichgültig liegen! Ich will ihnen zu wahrem Glück verhelfen. Ich bringe ihnen das Beste und Höchste: die Liebe des Herrn, und sie sehen nur Macht, Kampf und Vorherrschaft! Ich lehre sie das ewige Leben, und sie glauben, die Steine von den Grabkammern wälzen zu können. Sie nehmen es als göttliche Versicherung, um gegen die Römer zu kämpfen. Ich kann sie ja wieder lebendig machen, wenn sie im Kampf sterben! Sie wollen von ihren Krankheiten und Gebrechen geheilt werden - aber Bosheit, Neid und Streitlust sollen weiter in ihren Herzen hausen dürfen. Daß die Priester, die Zedokijim und die Pruschim nichts begreifen und nichts wissen wollen, war mir schon klar. Aber selbst meine Schüler sehen und begreifen nichts. Es sind jetzt mehr als ein Dutzend. Sie leben mit mir und hören tagtäglich meine Worte. Sie sehen, was ich tue - und sie haben nichts anderes im Kopf, als sich zu fragen, wer unter ihnen der erste ist und wie oft sie sich untereinander vergeben müssen!
 

[...]

(Jeschua:)
Natürlich hattest du recht - ich war ein jämmerlicher Feigling. Als ob es einen Unterschied zwischen der Liebe des unendlichen lebendigen Gottes und der begrenzten, vergänglichen Liebe zwischen Mann und Frau gäbe! Als ob Liebe sich aufspalten ließe! Als ob es eine Rolle spielte, was oder wen ich liebe - ob Gott in seiner Unendlichkeit oder eine sterbliche Frau wie dich! Das Entscheidende liegt nicht darin, ob ich eine kleine Blume oder den endlosen Himmel liebe - es liegt darin, wie ich liebe! Liebe ich ganz und gar - oder nur halbherzig, voller Vorbehalte? Nur wenn ich ganz liebe, bin ich dem Göttlichen nahe. Und wenn ich halbherzig liebe - nur einen Teil von Gott oder einen Teil von dir, dann verliere ich das Ganze und verliere Gott. Aber wenn ich dich ganz liebe, dann liebe ich auch Gott ganz. Und wenn ich Gott ganz liebe, liebe ich auch dich ganz - oder auch einen Kieselstein! 
Mir ist jetzt erst klar geworden, daß ich in Wahrheit Gott nie ganz geliebt habe - weil ich auch mich und meinen Körper nicht geliebt habe! Nur deshalb konnte ich auf einen solchen Gedanken kommen, mit einem Schlag durch alle Räume und alle Zeiten die Menschen zu ‘erleuchten’. Die störenden Körper spielten endlich keine Rolle mehr! Jetzt erst, nachdem ich meinen Körper in deiner und meiner Liebe erfahren habe, ist mir jedes existierende Stückchen Form so unendlich kostbar! Wie wunderbar und einzigartig unsere Körper sind! Wie eins mit dem anderen zusammenarbeitet und doch ganz verschieden voneinander ist! Augen, Ohren, Fingernägel, Magen, Blut - unser Geschlecht! Wie wunderbar auch diese Schöpfung ist! Wie wunderbar die göttliche Schöpfung, die sich in diese unendliche Vielfalt verwandelt - und immer weiter verwandelt! Pflanzen, Tiere, Erde, Steine - Wesen, Formen, Gestalten - alle einzigartig und alle aus demselben Stoff, aus dem wir selber sind! Mirjam, seit ich dich wirklich liebe, liebe ich nicht nur wahrhaft Gott - ich liebe plötzlich die ganze Welt und jedes winzige Sandkorn darin!
Ich habe immer nur gesehen, wie die Menschen leiden, weil sie sich in ihrer Angst und Unsicherheit an vergängliche Dinge und Vorstellungen geklammert und darin verloren haben. Sie haben nicht ganz zu lieben gewagt und Gott und die Liebe darüber verloren. Aber jetzt weiß ich auch, daß das gleiche Elend und das gleiche Leiden aus der Mißachtung des einzelnen Teils und seiner besonderen Form fließt. Wer nur die Unendlichkeit und die Ewigkeit liebt, vergißt Gott ebenso wie der, der nur das Sichtbare, Greifbare liebt. Es ist Frevel, wenn wir Menschen nur das vergängliche Fleisch, nur die begrenzte Form lieben. Aber ebenso frevelhaft ist es, nur den ewigen, unendlichen Geist und allein die unsterbliche Seele zu lieben. Das allein ist die lebendige Wirklichkeit: die Verschränkung von Unendlichkeit und Begrenztheit. Eines ist im anderen enthalten, eines verwandelt sich ins andere. Unendliches wandelt sich in Form, Form löst sich in Unendlichem. Der ewige, lebendige Geist taucht in Gestalten und Formen, verdichtet sich zu vergänglichen, aber einmaligen, einzigartigen und darum so kostbaren Körpern, nur um sich gleich wieder in neue Formen, Gestalten, Welten, Reiche und Zeiten zu verwandeln. Ein ewiges Tanzen in Formen und Figuren. Und meine Seele liebt deine Seele, mein Geist liebt deinen Geist - und mein Fleisch liebt dein Fleisch. Und in dir, durch dich, mit dir liebe ich die ganze Welt, den ganzen Kosmos - durch alle Zeiten und Räume hindurch! Denn in ihnen lebt die Liebe genauso wie zwischen dir und mir!“

Das 16. Kapitel ausführlicher

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(c) Copyright Regina Berlinghof, eMail: mail@regina-berlinghof.de Stand: 15. August 2000