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D O S S I E R
Der
Schauprozess von Teheran
Wie iranische Intellektuelle in Berlin aus der Heimat berichteten und dafür verurteilt wurden - ein Gerichtsprotokoll Am
13. Januar endete vor dem Revolutionsgericht in Teheran der Prozess gegen
16 Intellektuelle, die im April 2000 an einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung
in Berlin teilgenommen hatten. Neun der Redner erhielten Haftstrafen von
bis zu zehn Jahren - wegen staatsfeindlicher Propaganda. Inzwischen ist
der protokollarische Prozessbericht der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur
Irna zugänglich, den die ZEIT in Auszügen, leicht ediert, abdruckt. Das
Dokument einer Gesinnungsjustiz, die bis nach Deutschland ausgreift
Erster Prozesstag, 3. November 2000 (gegen drei Angeklagte, darunter Alireza Alavitabar, 41, Journalist, Mitarbeiter inzwischen verbotener Zeitungen) Die Anklageschrift wird vom Vertreter der Staatsanwaltschaft vorgelesen. Darin heißt es: "Der Staatsanwaltschaft liegen Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass die Partei der Grünen und die Heinrich-Böll-Stiftung die Konferenz organisiert und einberufen haben. Die Partei der Grünen ist nachweislich der islamischen Republik gegenüber feindlich eingestellt, so weit, dass sie auf deren Sturz hinarbeitet. Ziel der Konferenz war, die Herrschaft der Religion zu negieren, die herrschende Gesellschaftsordnung im Iran als brutal darzustellen, das System des Welajate Faghieh (Herrschaft der Geistlichkeit - d. Red.) zu beseitigen und die Feindschaft der Gegner des Systems legitim erscheinen zu lassen. Die Redebeiträge der Referenten auf dieser Konferenz waren gegen unsere Gesellschaftsordnung gerichtet. In diesen Beiträgen wurden die Heiligtümer des Islam beleidigt und die Werte der Religion diskreditiert. Die Redner wurden vom Publikum durch unwürdige Parolen, die gegen die islamische Ordnung gerichtet waren, bestätigt." Bezüglich der drei Angeklagten sagt der Staatsanwalt: "Sie sind angeklagt, weil sie durch ihre Teilnahme an der Berliner Konferenz gegen die nationale Sicherheit des Irans aktiv gewesen waren. Sie haben in Zusammenarbeit mit den Feinden der Islamischen Republik, mit feindlichen Gruppen wie den Volksfedajin und Volksmudschahidin das Ziel verfolgt, die islamische Ordnung zu stürzen und sie als eine brutale Macht darzustellen, die auf Gewalt, Unterdrückung und Zensur beruht." Der Staatsanwalt fordert unter Hinweis auf die Paragraphen 498 und 500 des islamischen Strafgesetzbuchs für die drei Angeklagten eine entsprechende Strafe. Zwei der Angeklagten erbitten mehr Zeit zur Stellungnahme, was der Richter gewährt. Der dritte Angeklagte, Alireza Alavitabar, sagt: "Ich weise sämtliche hier vorgebrachten Anklagepunkte zurück. Das Bild, das hier von der Konferenz entworfen wurde, entspricht nicht den Tatsachen, und die Aussagen über die Teilnehmer sind unzutreffend. Die Partei der Grünen vertritt einen Teil der Bevölkerung in Deutschland. Ein Mitglied dieser Partei hat als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland den Iran besucht. Er ist hier von offiziellen Amtsträgern begrüßt und herzlich empfangen worden. Im Zuge dieser Reise wurden einige Personen nach Deutschland eingeladen. Wir haben diese Einladung angenommen. Die Personen, die mich zu der Konferenz eingeladen haben, waren mir unbekannt. Nachforschungen schienen mir unnötig. Die Konferenz wurde durch eine Gruppe von etwa sechzig Mitgliedern der Kommunistischen Arbeiterpartei, die sich von der Kommuleh (einer kommunistischen Gruppe im iranischen Kurdistan - d. Red.) gespalten hat, gestört. Die Mitglieder dieser Gruppe sind sehr aggressiv, sie fordern den Sturz des islamischen Staates." Der Gerichtsvorsitzende fordert Alavitabar auf, zu dem Vorwurf Stellung zu nehmen, bei der Konferenz gegen die staatliche Ordnung der Islamischen Republik polemisiert zu haben. Alavitabar antwortet: "Ich bin keineswegs der Meinung, dass der gesamte Staat der Islamischen Republik undemokratisch ist. Allerdings gibt es über die Methoden des Regierens Differenzen. Ich habe bei der Konferenz weder gegen die Ordnung der Islamischen Republik Stellung genommen noch gegen den Staat polemisiert." Der Staatsanwalt sagt: "Die Anklage beruft sich auf die Videoaufnahmen, die den Verlauf der Konferenz dokumentiert haben. Der Angeklagte Alavitabar hat in einem Redebeitrag gegen die Ordnung der Islamischen Republik Stellung genommen. Er wurde bei der Konferenz als einer der Gründer der ,Kettenpresse' (gemeint ist die liberale Presse - d. Red.) vorgestellt." Alavitabar antwortet: "Zum Glück hat der Staatsanwalt offensichtlich aus meinen Äußerungen keinen Punkt herausgreifen können, der auf einen Verstoß gegen die Ordnung der Islamischen Republik hinweisen könnte. Ich gehörte nicht zu den Gründern der ,Kettenpresse', ich war einer der Gründer der Tageszeitung SobheEmruz. Darauf bin ich stolz, und ich hoffe, dass die Zeitung bald wieder erscheinen kann. Am ersten Tag der Konferenz war ich noch unterwegs und konnte deshalb nicht daran teilnehmen. Ich habe auch die Tanzszenen und den Mann, der sich nackt ausgezogen hat, nicht gesehen. Auch die Parolen, die gerufen wurden, habe ich nicht gehört. Alle diese Szenen habe ich später im Fernsehen gesehen. Nach meiner Überzeugung war die Berliner Konferenz legitim. Ziel der Konferenz war, einen Dialog zu führen. Den Dialog müssen nur jene befürchten, die gegen den islamischen Staat einen bewaffneten Kampf führen, nicht wir. Denn wir reden vom Dialog der Kulturen. Ein Dialog wird nicht geführt, um sich gegenseitig zu bestätigen, es ist eine Art kritische Auseinandersetzung, die auch Ablehnung von Positionen enthalten kann. Die Analysen der Deutschen unterscheiden sich von unseren Analysen. Sie können nicht alles, was auf der Konferenz gesagt wurde, mir unterstellen. Zum Beispiel sprechen die Deutschen von Menschenrechten, während manche Herren in der Islamischen Republik diese Diskussion nicht akzeptieren. Aber die Deutschen fassen diese Ablehnung keineswegs als ,Beschimpfung' auf. Ich hatte bei dieser Konferenz die Absicht, den Säkularismus abzulehnen." Der Staatsanwalt sagt: "Alavitabar hat im Zusammenhang mit der Islamischen Republik von ,Willkür' und ,Machtorientierung' gesprochen und die Republik als undemokratisch bezeichnet." Der Richter stimmt dem Staatsanwalt zu und sagt: "Ihre Rede war in Anwesenheit dieser Gruppen tatsächlich Propaganda gegen die Ordnung des islamischen Staates." Alavitabar erwidert: "Bei der Konferenz bin ich gefragt worden, ob ich die Islamische Republik als demokratisch betrachte. Ich habe geantwortet, ja, in der Islamischen Republik sind die Strukturen demokratisch, und so muss es auch bleiben. Es besteht ein Unterschied zwischen Willkür und dem System des Welajate Faghieh (Herrschaft der Geistlichkeit - d. R.). Ich meine, dass die Berliner Konferenz ein realistisches Bild des heutigen Iran gezeigt hat. Sie hat gezeigt, dass die Feinde der Republik und die Partei der Grünen nicht mithilfe einer Konferenz das System zum Sturz bringen können." Der Gerichtsvorsitzende fordert Alavitabar zu einem letzten Plädoyer auf. Alavitabar sagt, er werde sein Plädoyer schriftlich einreichen. Das Gericht erklärt den Prozess gegen den Angeklagten Alavitabar für abgeschlossen. Zweiter Prozesstag, 5. November 2000 (gegen vier Angeklagte, unter anderem gegen die Frauenrechtlerin Shahla Sherkat, 41, und gegen den Wirtschaftswissenschaftler Fariborz Rasidana, 56) Der Staatsanwalt verliest erneut die Anklagepunkte und fährt fort: "Darüber hinaus wird Frau Sherkat beschuldigt, gegen die islamischen Kleidungsvorschriften Stellung genommen zu haben. Sämtliche Teilnehmer der Konferenz haben gegen die islamische Ordnung Stellung genommen, sie haben den Islam diskreditiert. Einige Teilnehmer aus dem Publikum haben obszöne Szenen aufgeführt." Der Staatsanwalt zitiert die Angeklagte so: "Sherkat hat gesagt: ,Ich bin gegen die Zwangskleidung. Eine solche Maßnahme hat keinen Bestand. Ich verlange, dass es den Frauen überlassen wird, sich frei über die eigene Kleidung zu entscheiden. Ich komme aus dem Iran. Ihr befindet euch auf einer freien, ruhigen Insel. Es ist nicht leicht, euch über den Iran zu berichten. Unter dem alten Schah, Reza Khan, wurde den Frauen der Schleier verboten. Jetzt wird er ihnen aufgezwungen.'" Der Gerichtsvorsitzende fordert Frau Sherkat auf, zu einzelnen Punkten der Anklage Stellung zu nehmen, und fragt sie, ob sie sich schuldig bekenne. Er fügt hinzu, bezüglich islamischer Kleidungsvorschriften werde ein anderes Gericht sich mit dem Fall befassen. Frau Sherkat sagt: "Ich weise die Anklage zurück, möchte jedoch zunächst meinen Verteidiger bitten, dazu Stellung zu nehmen." Der Verteidiger von Frau Sherkat sagt: "Artikel 498 der islamischen Strafordnung, auf den sich der Staatsanwalt beruft, bezieht sich auf Organisationen und Gruppen, er betrifft also nicht meine Mandantin. Denn sie hat als Gast an der Konferenz teilgenommen. Thomas Hartmann (einer der Organisatoren der Tagung - d. Red.) hat meine Mandantin nicht als Vertreterin einer Gruppe oder einer Organisation eingeladen. Meine Mandantin hat durch ihre Teilnahme an der Konferenz weder das Allgemeinwohl unseres Landes beeinträchtigt, noch gegen die nationale Sicherheit verstoßen. Meine Mandantin ist gemeinsam mit einigen Leuten nach Deutschland gereist. Dort hat sie eine Rede gehalten. Der Staatsanwalt nimmt ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Teile der Rede, um damit seine Missdeutungen zu belegen." Der Richter fragt: "Welche Teile sind missdeutet worden? Erwähnen sie jene Teile, die zugunsten Ihrer Mandantin sind." Der Verteidiger antwortet: "Meine Mandantin hat über die geschichtliche Entwicklung der Kleidungsvorschriften gesprochen. Dabei ging es nicht um die Vorschriften an sich, sondern um die Art und Weise der Maßnahmen. Sie ist der Ansicht, dass eine Überzeugungsarbeit bei säkular eingestellten Frauen weit wirksamer sein könnte als Zwangsvorschriften." Der Vorsitzende sagt: "Das hier vorgelegte Zitat ist eindeutig. Meiner Meinung nach liegt hier keine Missdeutung vor." Der Verteidiger sagt: "Man muss die gesamte Rede in Zusammenhang lesen." Der Staatsanwalt sagt: "Die Angeklagte hat sich nicht gegen die Art und Weise der Kleidungsvorschriften geäußert, sondern gegen die islamische Kleidung an sich." Die Angeklagte Sherkat ergreift das Wort: "Ich wollte damit sagen, wenn wir tatsächlich die islamische Kleidung einführen wollen, ich meine nicht nur offiziell, dann muss dies durch Überzeugungsarbeit und Aufklärung geschehen." Der Gerichtsvorsitzende sagt: "Wenn Sie es anders gemeint haben, dann hätten Sie mit demselben Engagement wie bei der Konferenz Ihre wirkliche Meinung sagen müssen." Sherkat erwidert: "Ich bin nicht gegen islamische Kleidung. Ich trage sie selbst und verteidige sie." Der Gerichtsvorsitzende fragt: "In welchem Teil Ihrer Rede haben Sie die islamische Kleidung verteidigt?" Sherkat antwortet: "Wenn ich sage, die islamische Kleidung müsse durch Überzeugungsarbeit tatsächlich eingeführt werden, dann meine ich damit, dass die Frauen durch Überzeugung und nicht durch Zwang eine innere Beziehung dazu herstellen sollten. Es geht um die Verinnerlichung der Moral und nicht um Befolgung einer Zwangsmaßnahme." Der Vorsitzende sagt: "Dieser Anklagepunkt muss ohnehin von einem anderen Gericht behandelt werden. Versuchen Sie zu den anderen Punkte der Anklage Stellung zu nehmen." Sherkat sagt: "Ich weise sämtliche Punkte zurück. Wodurch habe ich mich schuldig gemacht? Bin ich angeklagt, weil ich an einer Konferenz im Haus der Kulturen der Welt in Berlin teilgenommen habe? Ich hatte keineswegs die Absicht, gegen die nationale Sicherheit zu verstoßen. Ich wollte vielmehr die Entwicklung der Frauen im Iran darstellen. Vor meiner Reise nach Deutschland hatte ich keinerlei Informationen über die Partei der Grünen. Mir waren auch deren negativen Ziele nicht bekannt. Bedauerlicherweise versuchen die Gegner der islamischen Ordnung jede Gelegenheit zu benutzen, um ihren Protest zu bekunden. Auch der Außenminister, der Staatspräsident und der Kultusminister wurden bei ihren Auslandsreisen von Gruppen attackiert, doch sie haben die Proteste ignoriert und ihre Reden fortgesetzt. Ich habe bei der Konferenz am zweiten Tag, als hässliche Parolen gerufen wurden, sofort die Konferenz verlassen. Zuvor hatte ich angekündigt, dass ich im Falle von Störungen nicht zu reden bereit sein werde. Während meines Vortrags trug ich meine islamische Kleidung, und ich habe die Protestler verurteilt. Das Thema meines Vortrags war: Errungenschaften der iranischen Frauen in den vergangenen hundert Jahren. Wenn man jemanden, der ein Kind der Revolution ist, Verschwörung gegen die Islamische Republik vorwirft, wie wird man dann gegen andere vorgehen? Ich möchte die Angelegenheit nicht politisieren, aber alles wird hier politisch." Der Vorsitzende fragt: "Haben Sie bei der Konferenz gesagt, wir lebten in Angst und Schrecken und die anderen auf einer ruhigen Insel? Ist Ihrer Meinung nach diese Äußerung zugunsten der Islamischen Republik gewesen?" Sherkat antwortet: "Ich habe bei meinen Ausführungen grundsätzlich die islamische Kleidung verteidigt und auf psychologische und soziologische Methoden hingewiesen. Ich habe gesagt, die islamische Kleidung habe nach der Revolution vielen Frauen ein neues Bewusstsein verliehen. Warum beachten Sie nicht diesen Teil meiner Rede? Man muss doch berücksichtigen, vor welchem Publikum ich gesprochen habe. Ich habe viele Menschen für den Islam interessiert. Ist das jetzt mein Lohn dafür? Die Themen, die bei der Konferenz in Berlin erörtert wurden, haben die negative Berichterstattung über den Iran, unter anderem die Behauptung, es gäbe hier kein Recht zur freien Meinungsäußerung, neutralisiert. Wir sind nach einer schweren Auseinandersetzung in unsere Heimat zurückgekehrt. Statt uns freundlich zu empfangen und zu loben, werden wir mit derselben Reaktion konfrontiert, die wir bei unseren Gegnern auf der Konferenz erlebt haben." Frau Sherkat fordert den Gerichtsvorsitzenden auf, sie von jeglicher Schuld freizusprechen. Der Gerichtsvorsitzende sagt: "Schade, dass Sie gegen die Angriffe auf die Islamische Republik, auf den Koran und auf die islamischen Werte keinen Widerstand geleistet haben." Einer der Verteidiger macht den Gerichtsvorsitzenden darauf aufmerksam, dass er seine Unabhängigkeit wahren müsse. "Sie wiederholen die Argumente des Staatsanwalts", sagt er. "Der Richter sollte sich zu den Äußerungen des Staatsanwalts erst nach Abschluss der Verhandlungen äußern." Der Richter fragt nun den Angeklagten Raisdana, ob er die Vorwürfe akzeptiere. Raisdana antwortet: "Ich weise die vom Gericht erhobenen Vorwürfe zurück. Für die Anklagepunkte ,Aktivität gegen die nationale Sicherheit' und ,Propaganda gegen die Islamische Republik' gibt es keinerlei Argumente. Zum Beispiel wurde behauptet, die Partei der Grünen sei gegen die Islamische Republik. Wieso werden dann zum deutschen Außenminister, der dieser Partei vorsteht, Kontakte gepflegt, wieso akzeptiert man, dass ebendieser Minister unseren Staatspräsidenten zum Besuch nach Deutschland einlädt?" Raisdana nimmt auch zu den Anklagepunkten ,Propaganda gegen die Islamische Republik' und ,Darstellung der Republik als ein Land, in dem Unterdrückung und Terror herrschen' Stellung und sagt: "Ich bin von Beruf Ökonom, und ich werde über alles reden, was ich beobachte und was meinem Land nutzen kann. Ich bin davon überzeugt, dass nur Diskussionen und Auseinandersetzungen über die Probleme zur Besserung unserer Wirtschaft führen können. Wie können meine Äußerungen als Feindschaft gegen die islamische Staatsordnung gedeutet werden, wenn Deutschland sich bereit erklärt, Millionen im Iran zu investieren?" Der Richter erwidert: "Wie können hier Millionen investiert werden, wenn, wie Sie behauptet haben, in unserem Land eine Atmosphäre des Terrors herrscht?" Raisdana antwortet: "Ich habe absolut nicht die Absicht gehabt, gegen die nationale Sicherheit zu verstoßen und gegen die islamische Staatsordnung zu propagieren. Ich habe lediglich bestimmte politische Vorgänge kritisiert, wobei ich der Meinung bin, dass die Kritik nützlich sein kann." Fünfter Prozesstag, 9. November 2000 (gegen zwei Angeklagte, darunter gegen Irans populärsten Journalisten Akbar Gandji, 41, der immer wieder über die Serie ungeklärter politischer Morde schreibt) Als der Angeklagte Gandji den Gerichtssaal betritt, berichtet er, dass er am selben Morgen von Gefängniswärtern geschlagen worden sei. Er schreit: "Ich befinde mich im Hungerstreik. Man kann einen politischen Angeklagten nicht zwingen, Häftlingskleidung zu tragen." Er zieht sein Häftlingshemd aus und legt es auf einen Stuhl. Der Richter fordert die Angeklagten auf, sich vorzustellen. Akbar Gandji sagt: "Ich wurde aufgrund einer Rede gegen den Faschismus von dem Gerichtsvorsitzenden zu einem Jahr Gefängnis verurteilt." Gandjis Verteidigter sagt, die Notizen Gandjis zu seiner Verteidigung seien ihm abgenommen worden. Die Notizen werden Gandji zurückgegeben. Gandji sagt: "Der Richter hatte den Gefängnisdirektor angewiesen, mir erlaubte Zeitungen zur Verfügung zu stellen. Doch später wurde wiederum auf Anweisung des Richters die Übergabe der Zeitungen eingestellt. An dem Abend, als Sie, Herr Richter, gemeinsam mit dem Herrn Gefängnisdirektor ins Gefängnis kamen, habe ich Sie um Zeitungen gebeten, doch Sie haben meine Bitte abgelehnt. Alles, was mir im Gefängnis gegeben wurde, musste ich schriftlich bestätigen. Selbst den Empfang von Gemüse musste ich bestätigen." Der Richter fragt Gandji, warum er sich weigere, die Häftlingskleidung zu tragen und die Gefängnisregeln zu achten. Gandji erwidert: "Sind die Gefängniswärter berechtigt, mich zu schlagen?" Der Richter fragt den Verteidiger, ob die Weigerung Gandjis, Häftlingskleidung zu tragen, gesetzlich sei. Der Verteidiger antwortet: "Mein Mandant ist ein politischer Gefangener. Es ist überall in der Welt Brauch, dass politische Gefangene nicht dieselbe Kleidung tragen wie gewöhnliche Häftlinge." Der Richter fordert ihn auf, das diesen Fall betreffende Gesetz zu nennen. Der Verteidiger antwortet: "Herr Gandji verlangt, dass ihm die Privilegien eines politischen Gefangenen zuteil werden. Dazu gehört die Ablehnung der Häftlingskleidung und Trennung von gewöhnlichen Häftlingen. Dazu gehört die Anwesenheit von Geschworenen bei den Verhandlungen, dazu gehört schließlich, dass ihm nicht die Kopfhaare abrasiert werden. Im Bezug auf diesen Sachverhalt erweisen unsere Gesetze einen Mangel, der behoben werden muss. Für diesen Mangel ist Herr Gandji nicht verantwortlich. Ich habe ihn gebeten, die Gefängnisregeln zu beachten." Der Richter sagt: "Also sind Sie auch dafür, dass die Regeln eingehalten werden. Ich habe das Gefängnis angewiesen, Herr Gandji und Herrn Rostamkhani die Haare nicht abzurasieren." Der Angeklagte Gandji sagt: "Ich habe mich geweigert, die Kleidung zu tragen. Das Gesetz legt die Strafe dafür fest. Aber warum werde ich deswegen geschlagen? Ich habe 108 Tage in Einzelhaft verbracht. Nach Ablauf von 86 Tagen haben Abgeordnete des Parlaments und Vertreter von Menschenrechtsorganisation mich besuchen wollen. Warum haben Sie ihnen keine Erlaubnis gegeben? Ich werde keine Häftlingskleidung tragen, und Sie können mich dafür bestrafen." Der Richter sagt: "Man hätte Sie nicht schlagen dürfen. Wenn Sie geschlagen worden sind, können Sie Beschwerde einlegen. Wir werden der Sache nachgehen." Gandji antwortet: "Sie schlagen dich, und nachdem die Spuren verschwunden sind, gibt es eine Gerichtsverhandlung, aber keine Zeugen." Der Staatsanwalt legt gegen die Fortsetzung des Gesprächs Widerspruch ein. "Das ist nicht Gegenstand der Verhandlung", sagt er. "Dafür sind andere Gerichte zuständig." Der Staatsanwalt kommt auf die Berliner Konferenz zu sprechen: "Gandji hat behauptet, die Geschichte der Menschheit habe gezeigt, dass man durch eine Revolution keine Demokratie erreichen könne. Die Konservativen im Iran seien besorgt, die Macht und den leicht angeeigneten Reichtum zu verlieren. Wir hätten nicht das Recht, den Menschen zu sagen, wie sie sich kleiden sollen. Die Demokratie werde sich im Iran ganz sicher etablieren. Die Zeit der Unterdrü-ckung und des Terrors sei vorbei. Niemand mehr habe das Recht, mit Gewalt, mit Gewehren und Kanonen im Iran zu regieren. Nach der Wahl Präsident Khatamis seien das Parlament und die Justiz gegen Khatami gewesen, doch später habe das Parlament ihn unterstützt. Die Richter könnten durch den Hinweis auf die bestehenden Gesetze die Menschenrechte missachten. In einer modernen Gesellschaft sei die Trennung von Kirche und Staat eine Selbstverständlichkeit. Der Wächterrat sei in der Lage, den Revolutionsführer abzusetzen und einen anderen zu wählen, aber das sei noch nie vorgekommen. Der Revolutionsführer stehe im Iran über dem Gesetz. Die Verfassung schreibe Zwangskleidung nicht vor, doch die Konservativen hätten diese Vorschriften dem Volk aufgezwungen. Jeder habe vom Glauben eine eigene Auffassung. Die Konservativen hielten die Religion für unveränderbar. Imam Khomeini existiere nicht mehr, niemand könne verhindern, dass er ins Museum gestellt werde, so wie sein Vorgänger ins Museum gestellt worden sei." Nach Darstellung des Staatsanwaltes hatte die Berliner Konferenz das Ziel, den islamischen Staat als eine brutale Macht vorzuführen. Auch Gandji habe in seinen beiden Büchern Die graue Eminenz und Die rote Eminenz das Gesicht der Islamischen Republik verzerrt dargestellt. Denn die Behauptung, die so genannten Kettenmorde (an oppositionellen Schriftstellern und Intellektuellen im Herbst und Winter 1998 - d. Red.) seien vom Staat in Auftrag gegeben worden, erzeugten in der Bevölkerung Misstrauen und zerstörten das Ansehen des islamischen Staates in der Welt. Der Staatsanwalt fordert das Gericht auf, Gandji entsprechend zu verurteilen. Gandji weist sämtliche Vorwürfe zurück und sagt: "Ich möchte zunächst über die Legitimität des Gerichts sprechen. Der Richter hat dem Staatsanwalt ruhig und geduldig zugehört. Ich hoffe, dass es sich während meiner Ausführungen genauso verhält." Der Richter sagt: "Unterlassen Sie die Stimmungsmache." Gandji setzt seine Ausführungen fort und fragt: "Warum haben Sie nicht erlaubt, dass die Parlamentsabgeordneten mich besuchen?" Der Richter antwortet: "Weil ich es nicht für richtig hielt. Die Entscheidung über solche Fragen gehört zu den Rechten der Richter." Gandji sagt: "Nach 202 Tagen Haft sehe ich heute zum ersten Mal meinen Verteidiger." Der Richter erwidert: "Das haben Sie selbst gewollt." Gandji sagt: "Das Ordnungsgericht für Richter hat Sie 1996 aufgrund meiner Beschwerde verurteilt. Ihnen fehlt deshalb die Legitimität, in meinem Fall zu richten." Der Richter entgegnet: "Sie dürfen sich nur zu den Punkten der Anklage äußern." Gandji sagt: "Wie soll ein Angeklagter, der noch nicht ein einziges Mal seinen Verteidiger getroffen hat, sich verteidigen? Nach dem Gesetz müssen die Untersuchungen rasch durchgeführt werden. Der Richter darf sich nicht vor einem Urteil zum betreffenden Fall parteiisch äußern. Ein gerechtes Urteil kann dieses Gericht nicht fällen, weil der Richter bereits vor dem Abschluss der Verhandlung sein Urteil gefällt und mich zu 202 Tagen Untersuchungshaft verurteilt hat. Dieser Prozess ist politisch, daher müssen bei den Verhandlungen Geschworene anwesend sein." Der Staatsanwalt erwidert: "Die Behauptung, Ihre Verurteilung sei von oben angeordnet worden, ist völlig absurd." Gandjis Verteidiger sagt: "Wenn der Richter vor der Verhandlung bereits den Angeklagten als schuldig bezeichnet hat, ist er zur Verhandlungsführung nicht berechtigt." Sechster Prozesstag, 14. November 2000 (Fortsetzung der Verhandlung gegen zwei Angeklagte, darunter Ezatollah Sahabi, 70, Politiker und Journalist) Der Richter fordert Ezatollah Sahabi auf, sich zu den Punkten der Anklage zu äußern. Sahabi sagt: "Die Anklage ist nichts als ein Ausdruck von Verschwörung, ein Ausdruck von Hass und Gewalt im politisch-gesellschaftlichen Kampf gegen alle, außer denen, die einem selbst nahe stehen. Wenn wir überall, bei allen Ereignissen und Menschen, ja sogar innerhalb der Justiz, mit Methoden der Verschwörung arbeiten, ist es verwerflich, denn die Grundsätze des Rechts setzen Unabhängigkeit voraus. Die Teilnahme an einer Konferenz, die in einem Land stattfindet, zu dem der Iran normale Beziehungen hat, kann an sich nicht strafbar sein. Was hier in der Anklageschrift behauptet wird, ist den Teilnehmern an der Konferenz nie in den Sinn gekommen. Eine Institution hatte zu der Konferenz eingeladen. Niemand hatte uns vorgeschrieben, was wir sagen sollten. Auch die Teilnehmer hatten unter sich keinerlei Vereinbarungen getroffen. Wer das Gegenteil behauptet, muss dafür Zeugen und Beweise bringen." Der Richter sagt: "Einige Teilnehmer hatten sich vor der Konferenz abgesprochen. Dafür gibt es Beweise." Sahabi fährt fort: "Alle Teilnehmer sind von der Idee ausgegangen, dass in der von Präsident Khatami geführten Reformbewegung Gewaltlosigkeit und friedliche Koexistenz prinzipiell akzeptiert werden und über die nationale Unabhängigkeit unseres Landes Einigkeit herrscht. Das war auch die Position der Teilnehmer aus dem Iran, die auf der Konferenz von einigen angegriffen, doch von über 90 Prozent der Anwesenden begrüßt wurden. Die Zustimmung von über 90 Prozent der Iraner im Ausland machte deutlich, dass diese Menschen die Reformen unterstützen, dass sie bestrebt sind, die bestehenden Konflikte auf demokratischem Weg zu lösen. Sie haben den Wunsch, in ihre Heimat zurückkehren zu können, was bis vor wenigen Jahren nicht der Fall gewesen war. Wie kommt es nun, dass man uns mit jener kleinen aggressiven Minderheit identifiziert und jene große, reformwillige Mehrheit einfach übersieht? Thomas Hartmann hat uns in unserem Büro mitgeteilt, dass Präsident Khatami Deutschland besuchen wird, und wenn die eingeladenen Gäste, die die Öffentlichkeit im Iran repräsentieren, vor einem deutsch-iranischen Publikum die Entwicklung der Reformbewegung im Iran darstellen, dann könnte die Informationsveranstaltung auch für den Staatsbesuch nützlich sein. Ich habe nicht aus Lust und Laune an der Konferenz teilgenommen, sondern aus der Überzeugung, dass wir für unsere wirtschaftliche Entwicklung irgendwo in der Welt verlässliche Partner brauchen. Deutschland, das das Tor zu Europa öffnet, ist sicherlich dafür geeignet." Sahabi fährt fort: "In der Anklageschrift ist die Rede von der Bildung einer Vereinigung, und es wird behauptet, die Partei der Grünen unterstehe dem Zionismus. Ich bin mit vielem, was diese Partei vertritt, nicht einverstanden. Aber hier wird behauptet, die Partei sei zionistisch, und wir seien von dieser Partei zu der Konferenz eingeladen worden. Dies trifft nicht zu." Der Richter wirft ein: "Darüber gibt es eindeutige Beweise. Ich habe mich selbst beim Außenministerium, beim iranischen Botschafter in Deutschland und bei dem Stellvertreter des Außenministers über die Partei der Grünen erkundigt. Sie brauchen mich also nicht zu belehren, ob diese Partei zionistisch ist oder nicht. Die Stellungnahme des Außenministeriums ist für uns gültig. Sie ist in der Akte vermerkt. Es gibt auch Tonbänder, auf denen die Reden der Organisatoren der Konferenz aufgezeichnet sind. Daraus sind die Ziele der Konferenz eindeutig zu erkennen." Sahabi sagt: "Die Partei der Grünen ist aus meiner Sicht nicht zionistisch, sonst hätte ich die Einladung nicht angenommen." Der Richter erwidert: "Es ist klar, dass die Konferenz auf eine Umwälzung im Iran ausgerichtet war. Die Ziele der Konferenz wurden auch entsprechend zu Beginn der Veranstaltung bekannt gegeben. Nehmen Sie dazu Stellung, lesen Sie keine politischen Erklärungen vor!" Sahabi setzt sich mit der Geschichte der Grünen und deren Zielen auseinander und sagt: "Als diese Partei erfuhr, dass Israel seinen Atommüll nach Libanon bringt, hat sie dagegen protestiert und die deutsche Regierung aufgefordert, dagegen Schritte zu unternehmen." Der Richter fragt: "Wozu erzählen Sie das?" Sahabi antwortet: "Ich sage das, damit Sie wissen, dass die Partei der Grünen nicht zionistisch ist." Der Richter sagt: "Sie haben auf der Konferenz behauptet, im Iran habe zwanzig Jahre lang Unterdrückung geherrscht. Sie haben unserem Staat Unterdrückung und Zensur vorgeworfen. Sie haben in Übereinstimmung mit konterrevolutionären Gruppen gesprochen und behauptet, Ihre Gesinnungsgenossen befänden sich in Gefahr, dennoch seien Sie nicht aus dem Land geflüchtet. Sie seien im Land geblieben und hätten Widerstand geleistet. Äußern Sie sich zu diesen Vorwürfen!" Sahabi sagt: "Sobald ich auf der Konferenz zu sprechen begann, wurde ich von den Gegnern beschimpft. Sie beleidigten die Islamische Republik, sie beleidigten Gandji, Eshkevari und mich. Sie bezeichneten uns als Feiglinge und Agenten der Islamischen Republik." Der Richter sagt: "In Ihrer Anwesenheit wurden die Heiligtümer des Islam und der Koran beleidigt." Sahabi erwidert: "Der Koran wurde nicht beleidigt. Doch ich habe den Protestlern geantwortet." Der Staatsanwalt wirft ein: "Sie haben den Protestlern nicht geantwortet, sondern sie mit ihrer Rede bestätigt." Sahabi sagt: "Seit 1989 stehe ich unter ständigem Beschuss. Um mein Haus versammelten sich Leute, die mich als ,liberal' beschimpften. ,Tod dem Liberalen', schrien sie. 1990 wurde ich ohne Grund verhaftet. Ich gebe eine Zeitschrift heraus, gegen die das Kultusministerium nichts einzuwenden hat. Dennoch wurde ich dafür bereits zweimal zum Gericht vorgeladen. Darf man meine Lage in Anbetracht dieser Vorfälle nicht als unsicher bezeichnen? Die Rede, die ich kürzlich an der Universität Teheran gehalten habe, rief einen heftigen Protest der so genannten Unterdrückungsgruppen (fundamentalistische Terrorgruppen - d. Red.) hervor. Die Leute wollten mich töten." Der Richter erwidert: "Wo auf der Welt gibt es so viel Freiheit? Sie haben in der Universität gegen die Staatsordnung gesprochen, sind aber dafür nicht bestraft worden. Niemand hat sie dafür belangt, obwohl Ihre Tat strafbar war und einen Anlass zum öffentlichen Aufruhr lieferte." Sahabi sagt: "Mein Haus wurde mit Steinen beworfen." Der Richter entgegnet: "Das kann ich nicht gutheißen. Aber Sie sollen bei der Wahrheit bleiben. Ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, dass Sie, bevor Ihr Prozess abgeschlossen war, auf dem Gelände der Universität aufgetreten sind und den Staat und das Gericht angegriffen haben. Das ist strafbar. Doch die Justiz hat Sie dafür nicht belangt. Ist das nicht Freiheit?" Sahabi sagt: "1997, als die Reformbewegung begonnen hat, haben die Menschen in unserem Land ihren Standpunkt durch ihre Stimmabgabe deutlich geäußert. Das war ein bemerkenswerter Vorgang, der sich bei den Kommunalwahlen und den Parlamentswahlen wiederholte." Der Richter entgegnet: "Meinen Sie also, dass die siebzehn zuvor stattgefundenen Wahlen im Iran nicht frei waren und bis dahin in unserem Land Unterdrückung geherrscht hat?" Sahabi antwortet: "Ich habe auf der Konferenz dem Mann, der protestiert hat, gesagt: ,Glaube nicht, dass du ein Held bist. Helden sind jene, die zwanzig Jahre lang im Inland Widerstand geleistet haben.'" Sahabi fährt fort: "Wir haben erklärt, dass wir gegen eine bestimmte Fraktion protestieren. Ist der Protest gegen eine Fraktion mit dem Protest gegen das gesamte System gleichzusetzen?" Der Richter entgegnet: "Sie haben bei Ihren Äußerungen wiederholt gegen das iranische Volk gesprochen und nicht gegen eine Fraktion." Sahabi sagte: "Seit 1938 verteidige ich stets den Islam. Von 1953 bis 1978 wurde ich insgesamt zwölf Jahre lang vom Savak (Geheimdienst des Schahs - d. Red.) als fanatischer Gläubiger in Haft genommen. Ich gehöre zu den Initiatoren der islamischen Revolution. Nach der Revolution hat mich Imam Khomeini zum Mitglied des Revolutionsrats ernannt." Der Staatsanwalt sagt: "Sie haben auf der Berliner Konferenz das Ansehen unseres Staates beschädigt." Sahabi sagt: "Wenn die Konferenz tatsächlich so katastrophal war, wie behauptet wird, dann ist nicht einsichtig, warum der Film darüber so manipuliert werden musste. Warum mussten die Szenen verstellt und Lügen verbreitet werden?" Der Richter fragt: "Was für Lügen?" Sahabi antwortet: "Der Filmbericht erweckte den Eindruck, als sei während der ganzen Konferenz getanzt worden, als hätten wir dort ruhig gesessen und uns die Tänze angeschaut. Dabei hat der ganze Vorgang nicht länger als zwanzig Minuten gedauert. Während der zweiten Sitzung entstand plötzlich Unruhe im Saal. Ich habe mich umgedreht und gesehen, dass eine Gruppe am Saaleingang Aufruhr stiftete und eine Person sich auszuziehen begann. Gleich danach führte die Konferenzleitung mit den Protestlern ein Gespräch und vereinbarte mit ihnen, dass zwei von ihnen jeweils eine Viertelstunde sprechen. Doch die beiden haben statt Argumenten nur Schimpfworte benutzt. Ich wurde ärgerlich und empfand, dass sie uns überlistet haben. Ich verließ den Saal." Der Richter sagt: "Hätte das Fernsehen den gesamten Ablauf der Konferenz dokumentiert und gesendet, dann hätte es die Gefühle der Menschen in unserem Land noch weit mehr verletzt. Das Fernsehen hat völlig richtig gehandelt." Der Richter fordert Sahabi auf, für seine Behauptung, in der Islamischen Republik herrsche Unterdrückung, Argumente zu bringen. Sahabi folgt dieser Aufforderung, indem er auf Anschläge gegen Zeitungsredaktionen, Mordanschläge und den Prozess gegen den früheren Teheraner Bürgermeister verweist. Der Richter sagt: "Der Prozess gegen den Bürgermeister wurde wegen Korruption geführt. Was hat das mit Unterdrückung zu tun? In anderen Staaten, auch in den USA, ist dies kein ungewöhnlicher Vorgang." Sahabi erwidert: "Meine Zeitschrift wurde angegriffen. Ich habe mich an die Justiz gewandt und mich beschwert. Doch die Justiz hat nichts dagegen unternommen." Der Richter sagt: "In einer Legislaturperiode wurden Sie als Abgeordneter gewählt. Sie hätten wenigstens diese Zeit in Schutz nehmen und sagen können, dass während dieser Zeit keine Unterdrückung geherrscht habe." Neunter Prozesstag, 30. November 2000 (Fortsetzung der Verhandlung, unter anderem gegen Akbar Gandji) Der Richter teilt mit, dass der Antrag Gandjis gegen ihn wegen Befangenheit abgelehnt worden sei. Gandji kritisiert, dass das Fernsehen bisher seine Verteidigungsrede nicht gesendet habe. Gandji sagt: "In der Anklageschrift wird behauptet, die Partei der Grünen sei zionistisch. Ich bin von der Heinrich-Böll-Stiftung eingeladen worden und hatte keine Informationen über etwaige Verbindungen dieser Stiftung zu den Zionisten. Joschka Fischer, deutscher Außenminister, ist einer der führenden Mitglieder der Partei der Grünen. Er besuchte vor der Konferenz den Iran und wurde hier von hohen Amtsträgern empfangen. Es ist zu erwägen, ob Fischer als Zionist den Iran besuchen konnte." Der Richter wirft ein, Fischer habe als Außenminister und nicht als Mitglied der Partei der Grünen den Iran besucht. In dieser Eigenschaft gebühre ihm Achtung und Höflichkeit. Gandji sagt: "Das ist doch gleichgültig. Er ist auf jeden Fall ein Zionist. Sie müssen als Richter mir zuhören und dürfen nicht die Rolle des Staatsanwalts übernehmen. Kürzlich hat Herr Mirdamadi, Mitglied des nationalen Sicherheitsausschusses im Parlament, mit Mitgliedern der Partei der Grünen Gespräche geführt. Dann müsste er doch als Angeklagter hier neben mir sitzen." Der Richter sagt, die Angelegenheit des Herrn Mirdamadi gehöre nicht zu dieser Gerichtsverhandlung. Offizielle Vertreter des Staates seien befugt, Gespräche zu führen. Gandji entgegnet: "Also den offiziellen Vertretern ist erlaubt, sich mit Zionisten zu treffen, den normalen Staatsbürgern aber nicht! Die Themen der Konferenz wurden vor der Konferenz in der iranischen Presse bekannt gegeben. Warum ist das Informationsministerium nicht tätig geworden? Warum hat das Ministerium die Teilnehmer nicht von der Reise abgehalten? Warum hat die Justiz ebenfalls geschwiegen? Hat die Justiz schon vor der Konferenz entdeckt, dass die Partei der Grünen zionistisch ist oder erst danach? Die Islamische Republik hat erklärt, die Kontaktaufnahme zu den USA sei strafbar, aber die Kontakte zu Wissenschaftlern, Künstlern und Kulturinstituten seien frei. Doch das betrifft nicht Deutschland. Ich habe aber auch Amtsträger um Rat gefragt. Ich habe Herrn Sarmadi, den Stellvertreter des Außenministers, zu meiner Teilnahme befragt. Er hat im Beisein von etwa zwanzig Personen geantwortet, dass er dagegen nichts einzuwenden habe." Der Richter sagt: "Ich habe diesbezüglich das Außenministerium angeschrieben und eine schriftliche Antwort erhalten. Die Antwort ist auch in der Tageszeitung Hamshahri veröffentlicht." Gandjis Verteidiger erwidert: "Nachdem eine breit angelegte Kampagne gestartet wurde, hat das Außenministerium zwei unterschiedliche Reaktionen gezeigt. Doch die eigentliche Stellungnahme hat Herr Sarmadi abgegeben." Der Richter sagt: "Das ist eine offene Beleidigung des Außenministeriums. Achten Sie auf Ihre Worte. Sie müssen Ihre Aussage von Herrn Sarmadi schriftlich bestätigen lassen. Es ist schwer vorstellbar, dass das Außenministerium sich unterschiedlich äußert." Gandji sagt: "Ich habe die Frage gestellt. Vielleicht ist das Treffen auf Video festgehalten worden, und die Aufnahmen sind noch vorhanden. Es ist jetzt nicht angebracht, noch klarer über Herrn Sarmadi zu reden." Der Richter sagt: "Was hier angebracht ist, bestimme ich. Sagen Sie, was Sie wissen." Gandji sagt: "Für meine Aussage habe ich zwanzig Zeugen." Zehnter Prozesstag, 2. Dezember 2000 (Fortsetzung der Verhandlung gegen Akbar Gandji) Der Verteidiger sagt: "Mein Mandant ist der Einzige, der, umstellt von Konterrevolutionären und Umstürzlern, mutig und selbstbewusst die islamische Staatsordnung verteidigt und sie als reformierbar, volksnah und demokratisch bezeichnet und verteidigt hat. Die Behauptungen des Staatsanwalts stützen sich auf verkürzte und manipulierte Aussagen meines Mandanten auf der Berliner Konferenz. Ich verlange, dass die Videoaufzeichnung vollständig oder zumindest soweit sie Herrn Gandji betrifft gesendet wird. Dann können alle sehen, wie mutig Herr Gandji die Staatsordnung verteidigt hat. Ich möchte das Gericht bitten, meinen Mandanten weiterhin als einen treuen und fähigen Wächter der Kultur zu betrachten und ihn freizusprechen." Der Richter sagt: "Die Vorführung des Videofilms gehört zu meinen Wünschen. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Vorführung dem Angeklagten Gandji schaden würde. Das habe ich Ihnen bereits gesagt. Im Grunde geht es dem Staatsanwalt nicht um das Ausziehen und Tanzen. Wir haben eine Aufzeichnung, die zwanzig Stunden dauert. Sicher ist, dass der Film Ihren Mandanten stärker belasten wird." Auf die erneute Forderung des Angeklagten, das Video zu zeigen, sagt der Richter nun: "Wir können den Film nicht senden, weil da unsittliche Szenen gezeigt werden." Die Urteile werden am 13. Januar 2001 verkündet: Akbar Gandji: 10 Jahre Haft plus 5 Jahre Verbannung Said Sadr: 10 Jahre Haft in Bandar Birdjand (erschwerte Haftbedingungen) Khalil Rostamkhani: 8 Jahre Haft in Bandar Abbas (erschwerte Haftbedingungen) plus 1 Jahr unter normalen Bedingungen Ali Afshari: 5 Jahre Haft Ezatollah Sahabi: 4,5 Jahre Haft Mehrangiz Kar: 4 Jahre Haft Shahla Lahiji: 4 Jahre Haft Fariborz Raisdana: 3 Jahre Haft, die 5 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden Shahla Sherkat: 4 Monate Haft und 20 Millionen Rial Geldstrafe Khadidjeh Moghaddam: 23 Millionen Rial Geldstrafe Yussufi Eshkevari wird in einem Geheimprozess vom Sondergericht für Geistliche verurteilt. Das Urteil ist bislang nicht bekannt. Gerüchten zufolge ist er zum Tode verurteilt. Revision soll aber möglich sein. Djamileh Kadivar, Moniru Ravanipur, Alireza Alavitabar, Hamid Reza Djalaipur, Mahmud Doulatabadi und Mohammad Ali Sepanlu werden freigesprochen. Gegen die Urteile haben die Verurteilten Einspruch eingelegt. Das Verfahren soll nun von einem Revisionsgericht übernommen werden. Ins
Deutsche übersetzt von Bahman Nirumand, zusammengestellt und bearbeitet
von Thomas Kleine-Brockhoff
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