Reaktionen und Rezensionen zu
Regina Berlinghofs: Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt
 
Paul Pfeffer, Schriftsteller:
 
  Gedanken zu
Regina Berlinghof: Schrödingers Katharina
13.11.2003
  Yin Yang Media Verlag, Kelkheim 2003

Die Schriftstellerin Katharina Jukulli hat einen Roman, aber keinen Verleger. Was tut eine kluge Frau in solch einem Fall? Entweder sie gründet einen Verlag oder sie entführt einen Verleger. In Regina Berlinghofs Roman „Schrödingers Katharina“ wird die zweite Variante durchgespielt. Das macht neugierig.

Nachdem Katharina Jukulli vergeblich versucht hat, den Verleger Ulrich Kirdorf von ihrem Romanprojekt zu überzeugen, geht sie in die Offensive. Nach einem minutiös ausgetüftelten Plan fädelt sie eine Entführung ein. Ihre Absicht ist es, den Verleger ganz von ihrem Werk und von ihrer Person zu überzeugen. Als Ort wählt die die Abgeschiedenheit der Wüste von Nevada. Das ist kein Zufall, denn Katharina Jukulli ist eine Wüstenkennerin und -liebhaberin. Insofern ist die Angelegenheit für sie ein Heimspiel. Es ist wie ein Versuch unter Laborbedingungen. Alle störenden Einflüsse werden ausgeschaltet. Und das Wunder geschieht tatsächlich: Es entwickelt sich eine Wahlverwandtschaft. Der widerspenstige, unzugängliche Verleger wird durch die Macht der Umgebung und der Persönlichkeit Katharinas überzeugt. In wechselnden Tagebuchaufzeichnungen stellt Regina Berlinghof diese Verwandlung sehr plastisch vor die Augen des Lesers. Es entfaltet sich eine rasante Liebesgeschichte, die ihre stärksten Momente gerade dann hat, wenn die Protagonisten sich ihrer Verschiedenheiten bewusst werden und gleichzeitig der Anziehungskraft des jeweils anderen erliegen. Sie sind als Feinde in die Wüste gegangen und kommen als Paar zurück. 

Ach, hätte es Regina Berlinghof doch bei diesem Plot belassen! Aber nein, sie will mehr. Nachdem klar ist, dass die beiden zueinander gefunden haben, entfleucht der Roman in quantenphysikalische Gefilde. Die Anspielung im Titel auf Schrödingers Katze lässt es schon ahnen. Katharina will ihren Ulrich nicht nur einfach lieben, sondern sie will ihn auch mit ihrer quantenphysikalischen Weltsicht infizieren. Dazu lässt Regina Berlinghof ihre Katharina lange populärwissenschaftliche Monologe halten und inszeniert übersinnliche Events wie zum Beispiel Begegnungen mit Einstein und Lao Tse oder Flüge auf Drachen durch Raum und Zeit. Obwohl auch da einige unterhaltsame Passagen zu finden sind, überlädt sie damit den Roman. Der naturwissenschaftlich nicht vorgebildete oder nicht interessierte Leser streckt die Waffen. Regina Berlinghof überstrapaziert aber auch ihre sympathische Titelfigur Katharina. Sie hat ihren Verleger zum Lieben gebracht und aus ihm einen offeneren und liebenswürdigeren Menschen gemacht. Das ist eigentlich schon sehr viel. Aber sie will ihn ganz. Sie will auch sein Denken neu ordnen. Das ist eindeutig eine Überdosis Anverwandlung. Der Leser ist gegen Ende des Romans zunehmend irritiert und verstimmt. Warum muss das Liebespaar unbedingt zur symbiotischen Einheit werden?

So bleibt der Gesamteindruck gespalten. In „Katharinas Katze“ stecken nach meiner Auffassung zwei verschiedene Bücher: eine interessante und ungewöhnliche Liebesgeschichte und ein populärwissenschaftlicher Essay über das neue und faszinierende Weltbild der Quantenphysik. 

Möglich, dass Regina Berlinghof im Bestreben, eine ganzheitlichen Sicht zu erreichen und die Grenzen von literarischer Fiktion und naturwissenschaftlicher Erkenntnis aufzuheben, die Ebenen ganz bewusst verschränkt hat. Möglich auch, dass sie sich von ihrer naturwissenschaftlichen Begeisterung hat hinreißen lassen, ihre Privatphilosophie der Figur Katharina Jukulli in den Mund zu legen. Wie auch immer, die Intention ist erkennbar: Im Grunde ist es das alte Projekt der Einheitswissenschaft oder hier besser die Sehnsucht nach dem Ganzen. Die Sphären des Geistes, der „Seele“, des Gefühls auf der einen und die der Beschaffenheit der Materie und des Kosmos auf der anderen Seite sollen miteinander versöhnt werden. Das war und ist ein ambitioniertes und lohnendes Unterfangen. Aber es bedarf anderer Mittel, als sie Regina Berlinghof in ihrem Roman eingesetzt hat und möglicherweise auch eines anderen Mediums.
 
 

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