|
Friedrich Nietzsche über
Hafis:
An Hafis
Frage
Eines Wassertrinkers:
Die
Schenke, die du dir gebaut,
ist größer als jedes Haus,
Die
Tränke, die du drin gebraut,
die
trinkt die Welt nicht aus.
Der
Vogel, der einst Phönix war,
der
wohnt bei dir zu Gast,
Die
Maus, die einen Berg gebar,
die
- bist du selber fast!
Bist
Alles und Keins, bist Schenke und Wein.
Bist
Phönix, Berg und Maus,
Fällst
ewiglich in dich hinein,
Fliegst
ewig aus dir hinaus -
Bist
aller Höhen Versunkenheit,
Bist
aller Tiefen Schein,
Bist
aller Trunkenen Trunkenheit
wozu,
wozu dir - Wein?
Nietzsche
beschrieb die Quelle der Hafisschen
Dichtkunst
so: "Der Wille zum Verewigen bedarf
gleichfalls
einer zweifachen Interpretation. Er
kann
einmal aus Dankbarkeit und Liebe kommen:
-
eine Kunst dieses Ursprungs wird immer eine
Apotheosenkunst
sein, dithyrambisch vielleicht
mit
Rubens, selig-spöttisch mit Hafis, hell und
gütig
mit Goethe, und einen homerischen Licht-
und
Glorienschein über alle Dinge breitend."12)
12)
Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft (de
Gruyter/dtv-Gesamtausgabe
Band 3, S. 622)
und:
"Zu
den höchsten und erlauchtesten
Menschen-Freuden,
in denen das Dasein seine
eigene
Verklärung feiert, kommen, wie billig, nur
die
Allerseltensten und Best-Gerathenen. [...]
Dann
wohnt ein überströmender Reichthum
vielfältigster
Kräfte und zugleich die behendeste
Macht
eines "freien Wollens" und herrschaftlichen
Verfügens
in Einem Menschen liebreich bei
einander,
der Geist ist dann ebenso in den Sinnen
heimisch
und zu Hause, wie die Sinne in dem
Geiste
zu Hause und heimisch sind; und Alles,
was
nur in diesem sich abspielt, muß auch in jenen
ein
feines außerordentliches Glück und Spiel
auslösen.
Und ebenfalls umgekehrt! _ man denke
über
diese Umkehrung bei Gelegenheit von Hafis
nach;
selbst Goethe, wie sehr auch schon im
abgeschwächten
Bilde, giebt von diesem
Vorgange
eine Ahnung. Es ist wahrscheinlich, daß
bei
solchen vollkommenen und wohlgerathenen
Menschen
zuletzt die allersinnlichsten
Verrichtungen
von einem Gleichniß-Rausche der
höchsten
Geistigkeit verklärt werden; Sie
empfinden
an sich eine Art Vergöttlichung des
Leibes
und sind am entferntesten von der
Asketen-Philosophie
des Satzes "Gott ist ein
Geist":
wobei sich klar heraus stellt, daß der
Asket
"der mißrathene Mensch" ist, welcher nur
ein
Etwas an sich, und gerade das richtende und
verurtheilende
Etwas gut heißt _ und "Gott" heißt.
Von
jener Höhe der Freude, wo der Mensch sich
selber
und sich ganz und gar als eine vergöttlichte
Form
und Selbst-Rechtfertigung der Natur fühlt,
bis
hinab zu der Freude gesunder Bauern [...]: die
ganze
lange ungeheure Licht- und Farbenleiter
des
Glücks nannte der Grieche, nicht ohne die
dankbaren
Schauder dessen, der in ein
Geheimniß
eingeweiht ist, nicht ohne viele
Vorsicht
und fromme Schweigsamkeit - mit dem
Götternamen:
Dionysos. - Was wissen denn alle
neueren
Menschen, die Kinder einer brüchigen
vielfachen
kranken seltsamen Mutter, von dem
Umfange
des griechischen Glücks, was könnten
sie
davon wissen! Woher nähmen gar die Sklaven
"moderner
Ideen" ein Recht zu dionysischen
Feiern!"13)
13)
Nietzsche: Nachgelassene Fragmente,
August-September
1885, 41 [6] (de
Gruyter/dtv-Gesamtausgabe
Band 11, 680)
|
|