Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart Jg. 6
(2005), Heft 1
Buch des Monats Februar 2005
Hans Bethge: Der asiatische Liebestempel. Liebeslieder asiatischer Völker. Nachdichtungen orientalischer Lyrik Band X. 3. Aufl. der zuerst 1941 erschienenen Ausgabe. Neu herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Regina Berlinghof, YinYang Media Verlag, Kelkheim 2004,105 + XI Seiten, 12,50 €
Die Leserinnen und Leser des Marburger Forums wissen bereits, dass Regina Berlinghof in ihrem YinYang Media Verlag die seinerzeit berühmten Nachdichtungen Bethges neu herausbringt. Mit: "Arabische Nächte" und "Der asiatische Liebestempel" erscheinen nun Band IV und X der Reihe, die 2005 mit "Pfirsichblüten aus China" (März) und "Der persische Rosengarten" fortgesetzt wird. Ganz anders als die "Arabischen Nächte", die, wie mir scheint, nur wenige Beispiele einer über die üblichen Standardisierungen hinausreichenden Lyrik enthalten (vgl. etwa "Der Verführer" von Amr Il Kais: Wie viele Frauen habe ich verführt! / Zuweilen waren Säugende darunter / Und solche, die ein Kind erwarteten. // Und wieder andre, die bedenkenlos / Ihr Kindchen, das ein Jahr alt war, alleine / Sich überließen, um an meinem Halse // Berauschten Sinns zu hängen. Und wenn dann / Das Kind in seiner Angst zu weinen anhub, / So wendete die junge Mutter sich // Mit ihres schönen Körpers oberer Hälfte / Wohl nach ihm hin. Das andre ihres Körpers / Blieb bei mir, bei mir, ohne sich zu rühren!" - Hier begegnen sich zwei Grausamkeiten, die des arabischen Don Juans und die uns ungeheuerlich dünkende der Mutter, in der sich aber diejenige der Welt, der Natur selbst spiegelt: wie wir sehen werden, ein wichtiges Motiv der arabisch-orientalischen Lyrik), finden sich im "asiatischen Liebestempel" viele Gedichte, die uns unmittelbar anrühren.
Bethge stellte in diesem Buch die Lyrik Afghanistans, Annams, Belutschistans, Burmas, Dagestans, Georgiens, Kambodschas, Koreas, Kurdistans, der Mandschurei, Nepals, Siams und anderer Länder zusammen. In seinen Anmerkungen erläutert er etwa: "Kirgisisch. – Die Kirgisen sind einer der wildesten und gewalttätigsten Stämme Zentralasiens; ihre Lieder singen am liebsten von Eifersucht und Rache" (S. 99). So lautet die Drohung eines Mannes an seine Frau, ihn nicht zu betrügen: "Nimm dich in acht, o Weib, und überwache / Dein Zimmer gut [...] Hat euch der Tod dann gnadenlos umfangen, / So bett ich euch auf einen Scheiterhaufen, / Und alle Sklavinnen ruf ich herbei: // Es soll ein wilder Schauer sie durchrinnen / Vor meiner schnellen Tat; sie sollen wissen, / Wie furchtbar ich bestrafe den Betrug. // Dann aber steck ich euren Scheiterhaufen / Mit eignen Händen an. Dein Buhle soll, / An dich geschnürt, langsam mit dir verkohlen, // Und ich, mit meinem Stamm, seh lachend zu!" (S. 58 f)
Aus dem Altei stammt "Der Krieger": "[...] Die Küsse von den Lippen einer Frau / Gleichen dem Wasser auf dem Meer: sie reizen / Den Durst noch auf. Je mehr du davon trinkst, // Um so gewaltiger dürstet dich. Es gibt / Nichts, was den unerschrocknen Krieger so /Vom Durst befreit wie dieser heiße Trank: // Das rote Blut des hingesunknen Feinds!" (S. 16) Bereits diese wenigen Zeilen bringen uns eine Welt vor Augen, die sich von unserer heutigen scheinbar fundamental unterscheidet. Die reglementierte - und doch individuell verlebendigte - Bildverwendung zeigt in naiver Offenheit, was die Bewohner zivilisierter Länder normalerweise nur noch goutieren dürfen, wenn sie Kriminalromane lesen, Abenteuerfilme oder Nachrichten von Kriegen und Katastrophen sehen. Die Lust am Kampf und am Töten wird als ein archaisch-sakraler Akt dargestellt, der eine tiefe Befriedigung birgt. Seine entfesselte Hingabe, gesteigert durch die Raserei und Todesbereitschaft in der Schlacht, mündet wie jedes blutige Opfer in ein Gefühl von Erlösung. In allen Triebtätern findet ein jedenfalls vergleichbarer Vorgang statt, und auch was Krieg überhaupt ist oder war, verstehen wir nach der Lektüre dieser Gedichte besser.
"Mein Verlangen" von Asmapur (etwa 1830 - 1890) aus Burma - die Verfasser der meisten Texte sind unbekannt, es handelt sich zumeist, wie Bethge schreibt, um Volkslieder - endet mit den großartigen Zeilen: "Ja, mein Verlangen, das mich zu dir treibt, / Geliebte, ist der Schöpfung tiefer Wille, / So wie der Sturzbach, der zu Tale stürmt, / So wie der Blitz, der in die Eichen schlägt, - / Wild braust in mir die Allmacht der Natur!" (S. 28) Und die Empfindung dieser "Allmacht" setzt Megdan (geb. gegen 1840 in Rangun) sogar mit dem Eingang ins Nirwana gleich. Ich zitiere das großartige Gedicht in voller Länge:
Höchste Glückseligkeit
So wie
ein Tropfen Tau, der von der Brust
Der duftenden, verliebten an die ganze
Schöpfung mit Inbrunst hingegebnen Nacht
Hinabfällt auf die jungfräuliche Rose
Und dort in seiner winzigen Weltenkugel
Das ganze Werk des Brahma widerspiegelt,
Den ganzen Himmel und die ganze Erde:
So
strahlt der Tropfen Tau, den deine Liebe
Auf meines Herzens Blütenblatt gesendet,
Den goldnen Himmel wieder, den die Seele
Sich so ersehnt: das himmlische Nirwana.
Durch deine Liebe durft ich schon auf Erden
Die höchste Lust der überirdischen Wonne
Empfinden; durch den Zauber deiner Liebe
Hab ich erkannt, dass meines Wesens Kern
Vom Paradiese stammt, dass ich ein Teil
Des Gottes bin, der diese Welt erschuf.
Was diese Welt eigentlich ausmacht, ihre innerste Kraft, zeigt sich im Eros - hier sei an die gleichfalls im Forum vorgestellten Gedichte Kalidasas (Hans Bethge: Die indische Harfe) erinnert - , aber er selbst ist wiederum nur die Erscheinungsform eines noch Tieferen, ja des Tiefsten überhaupt, nämlich des gestaltlosen Gottes, der aber, und das ist das Ungeheure, in einem "Tropfen Tau" ganz gegenwärtig ist.
Doch das Göttlich-Paradiesische enthält sein eigenes Gegenbild: "Grausame du! Nachdem du nur Verwirrung / Und Qual durch dein verführerisches Wesen / In deines Liebsten Herz geschleudert hast, // Setzt du dich nieder, ruhig, teilnahmslos / Und bringst die Locken deiner schwarzen Haare / In Ordnung, mit kokett erhobner Hand. // [...] Wenn ich dich sehe, denk ich an die Erde, / Die völlig fühllos, völlig teilnahmslos / Die Tränen qualzerrissner Herzen trinkt" (Die Grausame, Isch, Hindustan, 18. Jahrhundert; vgl. auch besonders "Die Herzlose", Hindustan). Die Grausamkeit der Geliebten ist ein gesteigerter Ausdruck der schrankenlosen dieser Welt selber, die den Menschen beides zumutet, im vergänglichen Augenblick die "Wonne" des Paradieses und die Gleichgültigkeit des Todes zu erfahren. Im einen wie im anderen, und in ihrer untergründigen Kommunikation, wird die Schöpfungskraft des Gottes vernehmbar.
Sie ist es im Grunde auch, die in den Beschreibungen von Üppigkeit, verhaltener Erotik und Schönheit vernehmbar wird: "Wassermelonen sind dir ja bekannt: / So schwarz wie ihre Kerne sprüht dein Aug, / Rot wie ihr Fleisch erstrahlen deine Lippen, / Dein Leib ist glatt, wie ihre Schalen sind. // [...] Setz dich an meinen Herd. Um deine Ankunft / Zu feiern, wähl ich unter hundert Herden / Von hundert Lämmern, die am Fuß des / Himalaya auf Weide sind, zwei Tiere // Und zwar die schönsten, seidigsten heraus, / Davon sei eins als Opfer dargebracht / Im Tempel des gewaltigen Gottes Pandu, / Dass er einst viele Kinder dir beschert. // Das andere will ich schlachten; unzerteilt / Werd es geröstet, und ein Rosenstock / Soll ihm als Bratspieß dienen; meine Freunde / Lad ich zu diesem Festmahl alle ein. // Und während sie drei Tage sich mit Essen / Und Trinken laben, leg ich Silberspangen / Um deine Arme, deine feinen Knöchel, / Und flechte edeln Goldschmuck in dein Haar." (Werbung, Kafiristan, S. 50 f)
Das Schwelgen in dieser Fülle des Lebens wird durch die Beziehung von Gastmahl und geschmückter Frau sinnlich so präsent, dass das Sinnliche selber sich in ein Geistig-Erotisches steigert. Im nächsten, kalmückischen, Gedicht des Bandes wird dieser Vorgang des Spiegelns auf ähnliche Weise eingesetzt: "Ich habe deinen schwarzen Hengst gesattelt, / Des Beine so erregt zu tänzeln wissen, / Und Schwert und Büchse hab ich dir geputzt. // Da es denn sein muss, reite in den Krieg, / Du süße Freude meiner Augen; aber / Vergiss mich nicht in all dem Kampfgebraus! // Versprich mir, dass mein Bild in deinem Herzen / Sich spiegeln wird, wie in dem kleinen Spiegel, / Den du mir einst vom Markte heimgebracht. // Eh du hinweggehst, gib mir das Versprechen, / Dass du in jeder Nacht zur elften Stunde / Den Mond betrachten wirst, der einem großen, // Silbernen Spiegel gleich, am Himmel steht; / Auch ich will jede Nacht zur elften Stunde / Deiner gedenkend in das Mondlicht sehn. // So wird uns beiden jeden Abend sein, / Als ob sich unsre Augen still begegnen / Im Licht des Mondes, der gleich einem großen, // Silbernen Spiegel in den Wolken steht. / Wer weiß, vielleicht wird gar der Mond, gerührt / Durch unsre Blicke, die sich sehnlich suchen, // An einem Abend sich in Wirklichkeit / In einen großen Silberspiegel wandeln, / Der nun vom Himmel zu uns niederstrahlt. // [...]" ("Der Spiegel")
Man versteht, was beschrieben wird, unmittelbar, sofort - und dann erst einmal nicht mehr. Es gibt noch ein Wissen um diese Spiegelungen in uns, deren archetypische, uranfängliche die der Sich-Liebenden ineinander ist.
In einem weiteren Gedicht: "Zwiegespräch" (Kambodscha), das für mich mit zu den schönsten des Bandes gehört, steigert sich der Spiegel-Vorgang ins Mythische:
Zwiegespräch
'Wenn
du da bist, erzittern meine Hände
Und meine Lippen und mein ganzes Wesen,
Sowie die Zweige eines Apfelbaumes,
Durch dessen Glanz der Wind des Frühlings weht.'
"Des
Apfelbaumes Zweige zittern nicht,
Geliebtes Mädchen, - sie erschauern nur
Unter der Zärtlichkeit des Windes, der
Berauscht ist durch den feinen Duft der Blüten.
Komm
mit mir, Liebste, heute Abend unter
Den Apfelbaum: wie seine Zweige sollst du
Erschauern unter meinen Zärtlichkeiten,
Und deiner Küsse Duft soll mich berauschen,
So wie der Wind an Blüten sich berauscht."
'Ich
werde kommen. Was wirst du mir schenken
Für meine Küsse?' "Immer Küsse,
Küsse."
'Und für meine Herz ?' - "Mein eignes Herz, Geliebte."
'Und was für meine Liebe?' - "Deiner Liebe
Weih ich mein ganzes Leben bis zum Tod."
'Wohlan, Geliebter! Küsse, Herz und Leben,
Ich nehm sie an und gebe mich dafür
In deine Hände, und noch heute Nacht
Werd ich mit Zittern kommen, meine Küsse
Dir darzubieten unterm Apfelbaume,
Durch den der Lenzwind mit Frohlocken fährt,
Berauscht vom feinen Duft der jungen Blüten.'
Sie, die Geliebte, kommt doch "mit Zittern", aber unter den Küssen wird sie "erschauern". Das Bild, wie der Frühlingswind durch den Baum fährt, die Blüten anregend, ihren Duft zu verströmen, und zugleich unter ihm das Menschenpaar sich, in der Hingebung, auf dieselbe Weise begegnet, löst bei der Lektüre etwas in uns aus, das bis in unsere mythischen Schichten greift und wohl nur durch etwas zu verstehen ist, das der Ethnologe Lévy-Bruhl durch den Begriff der "participation", der Teilhabe, umschreibt. Ohne die Fähigkeit zu solcher Beziehung gäbe es gar keine Dichtung: die numinose Kraft, die sich in der Natur äußert, durchströmt uns gleichermaßen, und die Spiegelung des einen Bereiches im anderen macht sie, in solcher Steigerung, vernehmbar.
Die Gedichte des "asiatischen Liebestempels" stammen aus solch mythisch-lyrischen Zonen. Sie rühren den Ursprungsbereich der Poesie in uns an und ermöglichen so eine Wahrnehmung der verschütteten dichterischen Grundsituationen. Wie unglaublich wichtig ist doch eine Beschäftigung mit solchen frühen, oder jedenfalls noch Stammeskulturen verhafteten Texten. Nichts wäre schöner, als wenn Regina Berlinghof nach Abschluss ihrer Bethge-Ausgabe, neben den Hafis-Übersetzungen Joseph von Hammers, noch weitere Übertragungen alter Lyrik aus anderen Weltteilen herausbringen würde.
Johannes U. Lechner