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Thema
Literatur - Auszug
ab S. 68
© YinYang Media Verlag,
Kelkheim, ISBN 3-935727-08-9
(aus Katharinas Tagebuch:)
Es war mir klar, daß mein
Roman nicht in deinen Verlag paßt. Viel zu gefühlvoll, zu pathetisch.
Dabei steht heute auf jedem Waschzettel der „literarischen“ Verlage, wie
„lakonisch“, „ganz ohne Pathos“ der Autor seinen Roman, seine Geschichte
verfaßt hat.
Gefühle sind out. Allenfalls
für die Oper und Hollywoodfilme zu gebrauchen. Aber nicht in neuer
deutscher Literatur!
Ich komme mir wie ein weiblicher
Rubens vor, den es in die Zeit der mageren, strengen Modiglianis und Giacomettis
verschlagen hat. „Zu üppig, zu fett, redundant, zu bunt, zu laut.“
Was hätte wohl Modigliani gemalt in Zeiten des Rubens?
Er hat mich beim ersten Telefongespräch
gefragt, ob ich den Roman nicht noch einmal schreiben wollte. Selbst renommierte
Autoren hätten ihre Werke immer wieder neu- oder umgeschrieben. Böll
oder Grass (ich weiß nicht mehr, welchen der beiden – nehmen wir
Böll, um den Lebenden nicht zu kränken) hätte einen seiner
Romane neunmal umgeschrieben. Der Gedanke hat mich so außer Fassung
gebracht, daß ich nur sagte, das könne ich nicht – höchstens
korrigieren und Fehler verbessern. Hinterher kamen mir natürlich die
richtigen Argumente. Aber wird man nicht auch deshalb Schriftsteller, weil
man im direkten Gespräch lange nicht so schlagfertig ist, wie man
es gerne wäre? Vielleicht wäre ich sonst Politikerin oder Fernsehmoderatorin
geworden. Ich schlucke immer erst mal alles herunter – und im Nachhinein
ordnen sich die Gedanken. Ich hätte ihm den alten Heraklit an den
Kopf werfen sollen. „Niemand steigt zweimal in denselben Fluß!“ Junge,
ich schreibe meine Geschichten und Romane nicht aus dem Kopf, sondern aus
dem Bauch und aus dem Herzen – jedenfalls zu einem großen Teil aus
Gefühlen und dem Unbewußten. Wenn ich Isolde und Tristan von
neuem schreibe, wird es ein anderer Roman. Denn ich habe mich in der Zwischenzeit
verändert, und meine Figuren würden anders denken, handeln, reden.
Selbst die Handlung könnte ganz anders verlaufen.
Ich konstruiere nicht – ich lasse
mich von einem Gefühlsstrom tragen, steuere allenfalls mit dem Kopf
und segle in die Richtung, in die ich möchte. Aber Fluß und
Meer bestimmen genauso den Gang der Geschichte. Meine Personen haben ihre
eigenen Gefühle, ihre eigenen Gedanken. Ich gebe ihnen Raum, schaue
ihnen zu, lasse sie sprechen und handeln. Oft tun sie es viel klüger
und besser als ich in meinem eigenen Leben. Manchmal sind sie auch dümmer
und gemeiner als ich. Aber das gehört doch wohl zum Leben. Und was
sind Geschichten und Romane, wenn nicht die Widerspiegelung des menschlichen
Lebens? Des Lebens überhaupt!
Was würdest du wohl sagen,
wenn dein Vater am Tag deiner Geburt deiner Mutter zu verstehen gegeben
hätte, sie sollte dich besser noch einmal gebären und die ungenügende
„Beta-Version“ in den Müll werfen?
Spätestens dann würde
er mir den Unterschied zwischen Kunst und Leben unter die Nase reiben.
Ach, ich hasse es, wenn die Leute immer mit dem großen Anspruch der
KUNST antreten! Solchen Typen geht es nicht um die Kunst, sondern um die
eigene Inszenierung, „Ich, der große KÜNSTLER!“, unterstrichen
durch Künstlerhut, dramatisches Auftreten oder bombastische intellektuelle
Metabegründungen. Die Kunst entsteht aus der vorgegebenen Interpretation:
„Was wollte uns der Dichter sagen?“ Die heutigen Künstler halten lieber
gleich ihre eigenen Vorlesungen. „Bilde Künstler, rede nicht“ – schon
zu Goethes Zeiten also die Intellektualisierung. Das Wortpingpong zwischen
Akademikern, die gerne in ihrem eigenen Idiom reden. Also tut der Künstler,
der Erfolg bei Kritikern und Medien haben will, es ihnen gleich. Es waren
die mittelmäßigen Professoren und Assistenten, die sich an der
Uni in einen Schwall von abstrusen Fremdworten hüllten, um ihre „Wissenschaftlichkeit“
zu demonstrieren. Die wirklich Guten hatten es nicht nötig. Die drückten
sich klar und verständlich aus. Weil sie verstanden werden wollten.
Weil es ihnen um die Sache ging. Und nicht um ihre Person.
Soll ich nun als Schriftstellerin
auf einmal Selbstinszenierung und Selbstbeweihräucherung mitmachen,
nur um anzukommen? Und den Roman so lange umschreiben und umformulieren,
bis er dem Literaturbetrieb genehm ist? Oder besser, bis er dem Geschmack
seiner Majestät, dem Verleger Ulrich Kirdorf, gefällt?
Warum also er? Was hält mich
bei ihm? Noch dazu über Jahre? Vier lange Jahre! Was verspreche ich
mir von ihm?
Selbst wenn er mich liebte – ich
weiß nicht einmal, worüber wir uns unterhalten sollten. Er ist
Verleger – ich schreibe. Also sollten wir uns über Literatur und Bücher
unterhalten können. Aber seine Literatur ist nicht meine Literatur.
Er bedient den Literaturmarkt der Intellektuellen und Kritiker. Und wenn
eines seiner Bücher im Literarischen Quartett besprochen wird, ist
er der King. Sie schwadronieren über Bücher und Literatur, über
Sprache und Qualität. Loben diesen oder jenen Roman in alle Höhen.
Und nach einem Jahr kräht kein Hahn mehr danach. Welche Romane hat
man in den dreißiger, vierziger, fünfziger Jahren hochgelobt
(abgesehen von den Manns und Bert Brecht) – aber ist eines dieser literarischen
Produkte heute noch genießbar? Alle Literaturkritiker haben die Nase
gerümpft über einen Schmöker aus Amerika namens „Vom Winde
verweht“. Literatur? Triviale Massenware! Indiskutabel! Dabei ist die Sprache
der Mitchell nach mehr als sechzig Jahren immer noch taufrisch – und ihre
Figuren sind lebendige Wesen. Menschen!
Oder was war mit Hitchcock? Die
Feuilletons waren sich zu fein, um ihn zu rezensieren und haben ihn auf
die „Vermischten Seiten“ verbannt, wo seine Gruselfilme zu den täglichen
Berichten über Mord und Totschlag paßten. Dann kam Truffaut,
und auf einmal merkten alle, daß Hitchcocks Filme große Kunst
sind.
Vermutlich könnten wir nicht
einmal Gespräche über Musik führen oder gemeinsam Musik
hören. Vermutlich liebt er Jazz, ich liebe Klassik, besonders die
schweren Spätromantiker.
Und Politik? Vermutlich sind wir
auch da auseinander. Er gehört zum links-intellektuellen Mainstream
und lebt dafür im großbürgerlichen Ambiente. Elitär.
Ob er jemals mit einem Arbeiter oder Kleinbürger ein Wort gewechselt
hat? Nicht nur dann, wenn er sich von Angestellten in Geschäften oder
von einem Handwerker bedienen läßt? Ich meine persönlich,
freundschaftlich. Auf der gleichen Ebene. Ich bin nicht links, aber auch
nichts rechts. Ich sitze, wie es guten Liberalen gebührt, zwischen
allen Stühlen. Weil man immer auch die Punkte der Gegenseite sieht.
Frau macht sich nicht sehr beliebt damit.
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