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Thema
Liebe - Auszug
ab S. 127
© YinYang Media Verlag,
Kelkheim, ISBN 3-935727-08-9
(aus Ulrichs Tagebuch:)
In Gedanken gehe ich zu ihr hinüber,
lecke ihr die Salztropfen von den Brustspitzen, lecke die Furche zwischen
den Brüsten. Ich bin schon wieder erregt. Mein Kleiner wächst
in die wolkenlosen Höhen, während ich mich in ihren Körper
vergrabe.
„Wie kann eine Frau das Ideal der
Freiheit verkünden, mit jedem zweiten Wort vor sich hertragen und
dann das Gegenteil tun: einen Menschen entführen, ihn fesseln und
anketten und tagelang seiner Freiheit berauben?“
„Wenn man die Freiheit anderer
respektiert, wird das nur als Schwäche ausgelegt. Als mangelnder Kampfgeist,
als Mensch ohne Biß. Einer, der es jedem recht machen will. Bei uns
gilt nur der etwas, der andere beeinflussen und manipulieren kann.“
„Überzeugen, Katharina, durch
Überzeugen gilt man! Durch gute Argumentation! Durch Worte, durch
Gespräche, durch eigenes Tun. Nicht durch physisches Überwältigen
des Gegners.
„Du bist für mich kein Gegner.“
Sie kommt zu mir herüber.
Die Doppeldeutigkeit ihres Satzes geht verloren im Spiel der Hände
und Geschlechter. Sie scheint dünner geworden zu sein, ihr Körper
hat eine goldene Farbe gewonnen. Unsere Körper, unsere Geschlechter
verstehen sich. Meinem Kleinen macht es nichts aus, daß ich gefesselt
bin. Er kommt auch so auf seine Kosten. Sie reitet auf mir. Jetzt tropft
der Schweiß von ihren Brüsten auf mich. Ich möchte die
Tropfen mit der Zunge auffangen, aber sie fallen auf meinen Bauch, rinnen
an mir herunter. Ich fange sie mit den Fingern von der Brustspitze auf,
lecke sie ab. Sie küßt mich. Ihre Zunge öffnet den Mund,
sie erkundet Lippen, Zunge. Sie erkundet mein Kinn, meinen Hals, sie wälzt
ihren Kopf in meinen Brusthaaren. Mein Körper glüht, er glüht
mehr von innen als durch die Sonne von außen.
„Wie soll das nun weitergehen?“,
frage ich sie, als wir noch schweißgebadet nebeneinander liegen.
Ich empfinde nichts als Zärtlichkeit für sie. Diese verbohrte
kleine Person! Schleppt mich in die Wüste, fesselt mich an Ketten,
schläft mit mir und schreibt ihren Roman. Eine kleine Locke klebt
in der Kuhle zwischen Hals und Nacken. Ihre blonden Haare sind am Haaransatz
nachgedunkelt. Sie färbt also. Ein bißchen eitel scheint sie
doch zu sein. Ich schiebe die Locke weg, küsse sie in die Kuhle. Meine
Finger streichen über die S-Kurve ihres Rückens. Aber es ist
ihr Gesicht, in das ich mich versenken möchte. Es ist sehr klar, wenn
auch breitflächig. Ein bißchen bäurisch rund. Aber ihre
Augen blicken mit einer Klarheit und Tiefe, daß es mich erschreckt
und fasziniert. Ich weiche aus – sie scheint mir bis auf den Grund zu schauen.
Will ich das denn? Geht sie nicht zu weit? Ihr Blick läßt mir
keine Schranken, keine Intimsphäre. Die will alles und gibt alles.
Wie ein Sog zieht es mich zu ihrem Blick. Jetzt lächeln ihre Augen.
Ich kann es nur im Nachhinein beschreiben. Zuviel geschieht in diesem Augenblick.
Sie lächelt, und ohne Worte weiß ich plötzlich, daß
ich bei ihr aufgehoben bin, daß ich willkommen bin. Willkommen, wie
ich es bisher nie erlebt habe. Nicht nur mein Kleiner, nicht nur mein Äußeres,
mein Geld, mein Status. Es gilt MIR! Mir selbst! Diesem Selbst, das ich
kaum einem zu zeigen gewagt habe. Habe ich je gewagt, einen Blick in mein
Innerstes zu werfen?
Sie macht mich glücklich ohne
Worte, ohne Geschenke – ohne eine Gabe. Sie will mich, das Innerste, das
Geheimste, das Verborgenste, das ich immer vor allen Blicken geschützt
habe. Sie lächelt das Wesen an, das ich einmal als ungeschützter
Säugling und Kleinkind war – noch ungepanzert durch Wissen, durch
Abhärtung, durch Ablehnung und Ironie. Ein Blick wie plötzlicher
Sonnenschein in ein Land, das zu lange von einer undurchdringlichen Wolkenschicht
ins Dunkel gehüllt war. Ich habe mein ganzes bewußtes Leben
immer dafür gesorgt, daß niemand dieses Dunkelland zu sehen
bekam. Immer abgelenkt. Es genügt ja, wie beim Wasser kleine Wirbel
auf der Oberfläche zu erzeugen, das Wasser in Wellen und Bewegung
zu versetzen, und schon geht der Blick auf den Grund verloren. Ich war
immer in action. Mein ganzes Handeln, ja Denken und Fühlen war von
der Peripherie gesteuert, weil ich Angst vor der Tiefe hatte. Als müßte
ich etwas verbergen. Vermutlich war es nur Schutz. Angst vor bösen
oder kalten Augen. Die Mittelmeermenschen kennen ihn noch, den bösen
Blick. Wir haben den Aberglauben abgeschafft und nehmen die eigene Kälte
nicht mehr wahr. Den abschätzigen Blick, den kritischen Blick, die
Verachtung, den Spott. Heute spüre ich solche Blicke selbst kaum noch.
Aber als Kind – wie oft bin ich zusammengezuckt, wie oft habe ich mich
weggeduckt oder mit plötzlichem Bauchweh zusammengekrümmt – wie
oft habe ich mit Wut, Schlägen und bösen Worten geantwortet?
Wie oft ist mein Blick selbst kalt und abschätzig geworden?
Ich finde etwas in mir, das gut
ist, das liebevoll ist, das zärtlich ist, das geliebt und willkommen
sein will. Will nicht jeder Mensch „gut“ und liebevoll sein – wenn man
ihn nur ließe? Natürlich war ich kein harmloser „Waisenknabe“.
Natürlich war ich auch böse und schlecht. Aber es ist sekundär,
peripher zum eigentlichen Kern. Ich bin zu oft auf das Äußere,
auf das Falsche reduziert worden. Sie hat etwas entdeckt, was seit Urzeiten
– wenn überhaupt – niemand mehr gesehen hat.
Ich bin so glücklich, daß
ich jubeln, tanzen, singen könnte. Wie schön sie ist! Wie wahrhaft
schön! Eine ganz andere Schönheit, als ich sie bisher gesucht
habe! Als ich sie voll Glück erneut umarmen und mit ihr schlafen will,
schiebt sie mich weg. Einen schrecklichen Moment zweifle ich an ihr und
an mir. Hat sie nur ein Spiel mir getrieben – solange, bis ich weich war?
Aber sie lächelt mich an. „Laß mich aufstehen. Ich hole den
Schlüssel. Ich will, daß du frei bist, wenn wir uns lieben.“
Sie sagt „lieben“. Nicht schlafen.
Darin liegt alles. Sie rollt sich von mir weg, steht auf und geht ins Haus.
Ich kann’s kaum glauben, und doch weiß ich, was und warum es so geschehen
ist. Sie hat mich losgelassen, als ich meine Fesseln vergessen habe. Als
ich nur noch an sie dachte. Sie muß es gespürt haben. Ob sie
tatsächlich Gedanken lesen kann? Meine Gefühle scheint sie unmittelbar
zu verstehen. Aber was weiß ich von ihr?
Sie kommt zurück und scheint
gewachsen zu sein. Nicht nur größer, sondern auch gerader, aufrechter.
Sie ist so glücklich wie ich.
Sie zeigt mir das kleine Schlüsselchen,
das mich an sie gekettet hat. Sie schließt die Fußfessel auf,
dann die Handschelle. Sie sitzt neben mir und schaut mir zu, als sei ich
ein wildes Tier, das man gespannt beobachtet, wenn man es in die Freiheit
entläßt. Nein, ich springe nicht auf, ich laufe nicht herum,
ich tanze keinen Befreiungstanz. Ich bleibe sitzen und schaue sie an. Sie
ist meine Freiheit.
Merkwürdig, jetzt wo wir uns
als Freie und Liebende gegenübersitzen, sind wir auf einmal befangen.
Wir scheuen die Umarmung, wir scheuen die Berührung, als müßten
wir uns erst langsam miteinander vertraut machen. Wir haben miteinander
geschlafen, aber wir waren Fremde. Jetzt liegt in einem Blick, in der Berührung
nur mit der Fingerspitze eine ganze kostbare Welt. Wagners Siegfried, der
tumbe Tor, reißt in dieser Situation Brünnhilde an sich. Lachend
springen sie in die Liebe, in den Tod, ergeben sich blind dem Rausch. Wir
sind klüger. Vielleicht auch älter und vorsichtiger geworden.
Nein, ich will dieses Glück, diese ungewohnte Nähe langsam erkunden.
Unsere Körper kennen sich. Unsere Seelen sind sich gerade erst begegnet
und strecken nur ganz vorsichtig ihre Fühler aus.
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