Text Kostprobe aus: 
Regina Berlinghof: Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt
zurück Thema Entführung - Auszug ab S. 50
 © YinYang Media Verlag, Kelkheim, ISBN 3-935727-08-9

(aus Ulrichs Tagebuch:)
Und diese Frau sitzt ungerührt draußen und schreibt ihren neuen Roman. Vermutlich mit ähnlich überrauschenden Gefühlen. Was ist dagegen schon die kleine mickrige Existenz eines Verlegers, der an seine Bücher und an seine Rechnungen denkt und noch ein paar schöne Stunden mit Frauen verleben will, ohne gleich mit Haut und Haar gefressen oder verbrannt zu werden? Ich hätte nie gedacht, daß ich mich einmal als normal-bürgerlichen Menschen bezeichnen würde. Schließlich gehöre ich zur revolutionären Generation der Achtundsechziger. Aber was diese Frau ihren Romanfiguren zumutet und von ihrer realen Umgebung vermutlich erwartet, geht über jegliches Normalmaß hinaus. Die ist schon jenseits aller Exzentrik. Exzentriker sind harmlos. Sie pflegen ihre Spleens und lassen ansonsten die Umwelt in Ruhe. Aber diese Frau handelt so wahnwitzig wie ihre Romanfiguren. Und sie greift ebenso selbstbezogen in das Leben anderer Menschen ein!
Was hat die Frau für mich bloß in petto!

Beim gemeinsamen Abendessen – draußen natürlich, die Frau lebt nur draußen – erwähne ich, daß ich ihren Tristan-und-Isolde Roman wiederlese. Gründlich. 
Nach ein paar einleitenden Lobesworten eröffne ich das Gefecht. „Das ist doch keine Liebe mehr. Das ist narzißtisches Gekränktsein und Besitzenwollen. Wenn sie aus Liebe unbedingt sterben will, na gut. Aber andere Menschen mit in den Tod ziehen wollen, das ist krankhaft.“ 
„Genauso krankhaft wie eine Entführung?“ Mit der Frau läßt sich nicht sublim reden. Sie platzt gleich mit der Sache heraus. 
„Ja“, schreie ich – so habe ich es jedenfalls in Erinnerung, „es ist absolut krankhaft und idiotisch, mich hier einzusperren! Haben Sie mich nun entführt und wollen Lösegeld oder wollen Sie mich hier festhalten, mit mir sterben oder mich einfach an Langeweile und Hitze eingehen lassen?“
Ich ernte einen stummen Blick.
„Haben Sie je bedacht, daß Sie mich nicht nur meiner Freiheit berauben, sondern auch meinen Verlag ruinieren? Wie sollen denn die Geschäfte ohne mich weiterlaufen? Wissen Sie eigentlich, was alles daran hängt und was Sie kaputtmachen? Sie können mich doch nicht ewig hier festhalten und warten lassen!“
Sie lacht plötzlich sehr bitter. „Wissen Sie denn, wie es ist, wenn ein Autor auf die Zusage eines Verlages wartet? Wie man in der Luft zappelt, bis einer geruht zu antworten? Nachdem man Jahre in die Arbeit gesteckt und auf vieles verzichtet hat? Auch da wird über eine Existenz entschieden! – Aber ich habe Sie nicht entführt, um Sie im Warten zu üben oder um mich zu rächen, auch wenn es verblüffende Parallelen gibt.“
„Und weshalb haben Sie mich entführt? Wollen Sie mir es nicht endlich sagen?“
„Um meinen neuen Roman in Ruhe schreiben zu können. Ich brauche das Geld. Übrigens wird der Roman nicht viel von Liebe handeln. Sondern von Sex und Crime. Das ist es doch, was ankommt, oder? Ich habe meine Lektion begriffen. Liebe zählt nicht. Macht und Gewalt sind alles. Sei freundlich zu den Leuten, und sie nehmen dich nicht ernst. Tritt ihnen vors Schienbein, und auf einmal respektieren sie dich. Handke beschimpfte das Publikum, und sie lagen ihm zu Füßen. Rainald Götz schnitt sich vor laufender Kamera die Stirn auf. Das Blut tropfte auf sein Manuskript, während er las. Das gefiel der Jury in Klagenfurt. Damit beeindruckt man die Leute. Ich entführe einen Verleger. Das wird der Hit! Ich biete Ihnen an, den Roman in Ihrem Verlag herauszubringen. Das wird Sie für alle finanziellen Nachteile entschädigen.“ 
Im Grunde hat sie Recht. Sie kann schreiben, was sie will. Die Leute werden es kaufen, weil sie einen Verleger – mich! –  entführt hat. Verbrechen und Leidenschaft, was will der Leser mehr! „Soll das ein Angebot sein?“ „Ein Deal – warum nicht?“
Ich denke an Schmander und den Zinstermin. Ich denke an Bill und an Hollywood. Nein, auf so etwas lasse ich mich nicht ein. 
„Sie haben wirklich eine abgebrühte Phantasie“, stelle ich fest. „Das hätte ich Ihnen nie zugetraut!“ 
„Sag ich doch. Ich bin freundlich zu Ihnen, und Sie halten mich für doof. So läuft es bei uns. Ich habe beschlossen, nicht mehr so freundlich zu sein. Ich heule jetzt mit den Wölfen. Nein, ich mache mich zur Oberwölfin und übertöne alle. Anders wird man doch nicht beachtet.“
Sie guckt mich an und redet nach wie vor in ihrer freundlichen Art. Wenn sie das in München gesagt hätte oder bei einer der kurzen Begegnungen auf der Frankfurter Buchmesse, würde ich es als unglaubwürdigen Marketingversuch einer Frau abtun, der man ansieht, daß sie keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Nicht mal beim Anlegen und Wechseln der Hand- und Fußschellen geht etwas Bösartiges von ihr aus. Sie legt es nicht darauf an, mir wehzutun, mich unnötig zu quälen. Sie genießt nicht einmal meine Ohnmacht. Keine Spur von sadistischem Vergnügen. Oder kann sie es nur gut verbergen? Sie hat nicht einmal triumphiert, als sie vom Warten auf eine Antwort von Verlagen und Verlegern sprach. Wäre ein gutes Rachemotiv. Wenn ich an den Berg von Manuskripten denke, die ungelesen und unbeantwortet zuhause und im Büro liegen.
 

Um es ganz klar zu machen:
In diesem Roman können sich Hunderte von Verlegern wiedererkennen. Dies geschieht mit Absicht. Sollten die geschätzten LeserInnen weitere Exemplare dieser Spezies identifizieren, um so besser. Denn es hat sich in Wirklichkeit alles genau so abgespielt, wie im Roman geschildert. Mit jedem einzelnen. Und sollten sich auch Verlegerinnen beschrieben finden, will ich nicht kleinlich oder gar minderheitenunfreundlich sein. Schließlich bin ich für Emanzipation. Jede Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist beabsichtigt und erwünscht. Denn alles hängt zusammen. Dafür übernimmt die Verfasserin die ganze Verantwortung. Sollte sich ein Verleger nicht wiederfinden, ist das sein Problem, nicht meines. SchriftstellerInnen sind auch nur Menschen. VerlegerInnen vermutlich auch.
zurück Regina Berlinghofs Roman "Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt" ist soeben erschienen: ISBN 3-935727-08-9, br. 258 S. Euro 14,00

zurück zur Homepage

(c) Copyright Regina Berlinghof, eMail:
mail@regina-berlinghof.de
Stand: Mai 2003