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Thema
Entführung - Auszug
ab S. 50
© YinYang Media Verlag,
Kelkheim, ISBN 3-935727-08-9
(aus Ulrichs Tagebuch:)
Und diese Frau sitzt ungerührt
draußen und schreibt ihren neuen Roman. Vermutlich mit ähnlich
überrauschenden Gefühlen. Was ist dagegen schon die kleine mickrige
Existenz eines Verlegers, der an seine Bücher und an seine Rechnungen
denkt und noch ein paar schöne Stunden mit Frauen verleben will, ohne
gleich mit Haut und Haar gefressen oder verbrannt zu werden? Ich hätte
nie gedacht, daß ich mich einmal als normal-bürgerlichen Menschen
bezeichnen würde. Schließlich gehöre ich zur revolutionären
Generation der Achtundsechziger. Aber was diese Frau ihren Romanfiguren
zumutet und von ihrer realen Umgebung vermutlich erwartet, geht über
jegliches Normalmaß hinaus. Die ist schon jenseits aller Exzentrik.
Exzentriker sind harmlos. Sie pflegen ihre Spleens und lassen ansonsten
die Umwelt in Ruhe. Aber diese Frau handelt so wahnwitzig wie ihre Romanfiguren.
Und sie greift ebenso selbstbezogen in das Leben anderer Menschen ein!
Was hat die Frau für mich
bloß in petto!
Beim gemeinsamen Abendessen – draußen
natürlich, die Frau lebt nur draußen – erwähne ich, daß
ich ihren Tristan-und-Isolde Roman wiederlese. Gründlich.
Nach ein paar einleitenden Lobesworten
eröffne ich das Gefecht. „Das ist doch keine Liebe mehr. Das ist narzißtisches
Gekränktsein und Besitzenwollen. Wenn sie aus Liebe unbedingt sterben
will, na gut. Aber andere Menschen mit in den Tod ziehen wollen, das ist
krankhaft.“
„Genauso krankhaft wie eine Entführung?“
Mit der Frau läßt sich nicht sublim reden. Sie platzt gleich
mit der Sache heraus.
„Ja“, schreie ich – so habe ich
es jedenfalls in Erinnerung, „es ist absolut krankhaft und idiotisch, mich
hier einzusperren! Haben Sie mich nun entführt und wollen Lösegeld
oder wollen Sie mich hier festhalten, mit mir sterben oder mich einfach
an Langeweile und Hitze eingehen lassen?“
Ich ernte einen stummen Blick.
„Haben Sie je bedacht, daß
Sie mich nicht nur meiner Freiheit berauben, sondern auch meinen Verlag
ruinieren? Wie sollen denn die Geschäfte ohne mich weiterlaufen? Wissen
Sie eigentlich, was alles daran hängt und was Sie kaputtmachen? Sie
können mich doch nicht ewig hier festhalten und warten lassen!“
Sie lacht plötzlich sehr bitter.
„Wissen Sie denn, wie es ist, wenn ein Autor auf die Zusage eines Verlages
wartet? Wie man in der Luft zappelt, bis einer geruht zu antworten? Nachdem
man Jahre in die Arbeit gesteckt und auf vieles verzichtet hat? Auch da
wird über eine Existenz entschieden! – Aber ich habe Sie nicht entführt,
um Sie im Warten zu üben oder um mich zu rächen, auch wenn es
verblüffende Parallelen gibt.“
„Und weshalb haben Sie mich entführt?
Wollen Sie mir es nicht endlich sagen?“
„Um meinen neuen Roman in Ruhe
schreiben zu können. Ich brauche das Geld. Übrigens wird der
Roman nicht viel von Liebe handeln. Sondern von Sex und Crime. Das ist
es doch, was ankommt, oder? Ich habe meine Lektion begriffen. Liebe zählt
nicht. Macht und Gewalt sind alles. Sei freundlich zu den Leuten, und sie
nehmen dich nicht ernst. Tritt ihnen vors Schienbein, und auf einmal respektieren
sie dich. Handke beschimpfte das Publikum, und sie lagen ihm zu Füßen.
Rainald Götz schnitt sich vor laufender Kamera die Stirn auf. Das
Blut tropfte auf sein Manuskript, während er las. Das gefiel der Jury
in Klagenfurt. Damit beeindruckt man die Leute. Ich entführe einen
Verleger. Das wird der Hit! Ich biete Ihnen an, den Roman in Ihrem Verlag
herauszubringen. Das wird Sie für alle finanziellen Nachteile entschädigen.“
Im Grunde hat sie Recht. Sie kann
schreiben, was sie will. Die Leute werden es kaufen, weil sie einen Verleger
– mich! – entführt hat. Verbrechen und Leidenschaft, was will
der Leser mehr! „Soll das ein Angebot sein?“ „Ein Deal – warum nicht?“
Ich denke an Schmander und den
Zinstermin. Ich denke an Bill und an Hollywood. Nein, auf so etwas lasse
ich mich nicht ein.
„Sie haben wirklich eine abgebrühte
Phantasie“, stelle ich fest. „Das hätte ich Ihnen nie zugetraut!“
„Sag ich doch. Ich bin freundlich
zu Ihnen, und Sie halten mich für doof. So läuft es bei uns.
Ich habe beschlossen, nicht mehr so freundlich zu sein. Ich heule jetzt
mit den Wölfen. Nein, ich mache mich zur Oberwölfin und übertöne
alle. Anders wird man doch nicht beachtet.“
Sie guckt mich an und redet nach
wie vor in ihrer freundlichen Art. Wenn sie das in München gesagt
hätte oder bei einer der kurzen Begegnungen auf der Frankfurter Buchmesse,
würde ich es als unglaubwürdigen Marketingversuch einer Frau
abtun, der man ansieht, daß sie keiner Fliege etwas zuleide tun kann.
Nicht mal beim Anlegen und Wechseln der Hand- und Fußschellen geht
etwas Bösartiges von ihr aus. Sie legt es nicht darauf an, mir wehzutun,
mich unnötig zu quälen. Sie genießt nicht einmal meine
Ohnmacht. Keine Spur von sadistischem Vergnügen. Oder kann sie es
nur gut verbergen? Sie hat nicht einmal triumphiert, als sie vom Warten
auf eine Antwort von Verlagen und Verlegern sprach. Wäre ein gutes
Rachemotiv. Wenn ich an den Berg von Manuskripten denke, die ungelesen
und unbeantwortet zuhause und im Büro liegen.
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